Nicht nur die Fortentwicklung von E-Drums stagniert, auch die Fortentwicklung der Diskussion darüber dreht sich seit vielen Jahren im Kreis.
Stimmt, weil von einem Teil der Schlagzeuger die immer gleichen Totschlagargumente angebracht werden: klingt kacke, Plastik, keine Dynamik usw. Wer nicht sieht, dass sich in der Entwicklung etwas getan hat, will es auch nicht sehen.
Es ist eine Diskussion in der Nussschale. Ein akustisches Schlagzeug klingt leider in sechs von zehn Fällen kacke. Wer schon einmal Schlagzeugspuren mischen musste, weiß, wovon ich spreche. Es ist eine Menge Arbeit, ein Schlagzeug von allem Schmutz, Übersprechungen, störenden Frequenzen & Co. zu befreien. Jedes Schlagzeug muss aufwändig mikrofoniert werden und im Mixing mit viel Phantasie und Handwerk so bearbeitet werden, dass man es auf die Öffentlichkeit loslassen kann. Diese Diskussion, die hier unter Schlagzeugern stattfindet, existiert unter Toningenieuren und anderen Musikern nicht. Beim Publikum schon einmal gar nicht.
Spätestens durch die inzwischen vielfältige wie qualitativ hochwertige Sample-Software á la Superior Drummer sind die Unterschiede so geschmolzen, dass am Ende eine reine Liebhaber- und Nerd-Diskussion übrig bleibt, die, das nicht falsch verstehen, ihre Berechtigung hat. Aber wenn alle sachlichen Argumente ausgehen, kommen die ewig gleichen Argumente. Dann sind alle Schlagzeuger auf einmal kleine Steven Gadds, die ihre 1/16tel-Ghostnotes auf der HiHat nicht ausreichend artikuliert sehen. Die bestehen dann im Studio auf ihre heißgeliebten Kessel aus Holz. Und was macht der Toningenieur am Ende: Ersetzt die Hälfte durch Samples, baut Hall-Effekte ein, EQ, Kompression, Transient Designer, Delay, Parallel-Kompression & Co. bis zum Abwinken. Hätte man einfacher haben können: Setz Dich halt direkt ans TD-30 im Studio.
Nicht sachlich diskutierbar ist ein Faktor wie Spielgefühl. Und ja, es gibt tatsächlich viele Musikstile oder Gigs, bei denen ein elektronisches Schlagzeug womöglich nicht angebracht sind. Ich habe dafür volles Verständnis. Wenn ich die freie Wahl hätte, würde ich mir sofort ein akustisches Set hinstellen. Und fürs gleiche Geld noch einmal teure Mikrofone kaufen. Und fürs Dreifache ein entsprechendes Studio. Und fürs 20-fache eine SSL- oder Neve-Konsole. Diese Wahl habe ich aber nicht. Also greife ich auf Sample-Bibliotheken zurück. Wie die Mehrheit der Tonstudios und Toningenieure dieser Welt. Ich sehe das schlicht pragmatischer. Wenn das akustische Schlagzeug gut klingt, gut gestimmt und gut gespielt wurde, ist alles gut. Wenn ich Samples brauche, um den Klang hinzubekommen, nehme ich Samples. Es ist das, was hier eben schon fiel: es wird mir zu wenig an die gedacht, für die man das alles macht. Die Menschen, die diese Musik hören wollen oder sollen.
Ich verfolge seit langer Zeit die gleiche Diskussion in der Mixing-Szene. Und die Argumente gleichen sich. "Geh mir weg mit den ganzen Software-Plugins und DAW-Quatsch. Wenn ich meinen Song auf einer analogen Konsole mische, klingt es einfach besser." Ich kenne das aus dem Journalismus, wo die alten Zeitungsnasen das Internet nach wie vor ganz doof finden. Auch da sind auf einmal alle Seite-3-Autoren der Süddeutschen Zeitung statt Lokalreporter, die ihre täglich produzierten Pulitzer-Preis-Texte natürlich nicht auf Facebook (pfui!) oder auf einer Webseite sehen wollen, neben denen womöglich blinkende Werbebanner für Wurst oder Damenbinden auftauchen.
Wie gesagt, es ist völlig in Ordnung, solche Gespräche beim Bier zu führen. Die Realität ist da, Gott sei Dank, schon weiter. Der Flaschenhals bei E-Drums/Samples ist, auch leider im Jahr 2016, die Gefahr instabiler Software und dass Schlagzeuger sich keinen Laptop auf die Bühne stellen wollen. Aber auch das wird die Entwicklung hinbekommen. Das neu entwickelte Modul von Pearl & Steven Slate macht den Anfang und vieles richtig: SSD-Plate, hochwertige Samples ... wenn das z.B. mal Roland & Superior Drummer gemeinsam hinbekommen.
Ich liebe das Schlagzeug als das, was es ist. Und ich will weiter und hoffentlich auch in 100 Jahren noch akustische Schlagzeuge spielen, fühlen, sehen und hören. Aber diese hochnäsige Diskussion über E-Drums geht mir mächtig auf den Zwirn. Vor allem, weil sie oft von denen kommt, die mit ihrem mäßig klingenden Mitteklasse-Set in Proberäumen oder kleinen Kneipen Ohrenkrebs verursachen und dem Tontechniker wie Mitmusikern Zeit und Nerven rauben. Aber vielleicht sehe ich das auch zu streng, weil ich selbst alles bin, nur kein Schlagzeuger.
Ich sehe nur die Chance, dass durch die fortgeschrittene Technologie auf der ganzen Welt Menschen Musik machen können, die es früher nicht machen konnten. Klar, diese Proberaum-Garagen-Nummer hat ihren Reiz und soll es auch weiter geben. Aber für den Rest? Gebrauchtes TD-15, EZDrummer2 auf dem PC, dazu für ein paar Dollar ein paar gute Mixing-Software und fertig ist der Song. Ich finde das großartig.