Was für eine geschwollene Überschrift. Und doch beschreibt sie das was Kollegen, Bandmusiker und Drumschüler mir fast wöchentlich berichten, und natürlich erinnere ich selbst auch dutzende biographische Epsioden und Anekdoten in der Interaktion mit anderen wo ich dachte (nicht sagte) "die Tatsache das wir so verschiedenen wahrnehmen, erklärt, warum wir so oft aneinander vorbei reden."
Oder mit einem Satz: Der eine hört/spürt nicht was der andere hört/spürt (oder jener zu hören/spüren glaubt ;-)). Fast wie in der Sexualtherapie
Jeder Mensch hat Stärken und eben auch die oft allzu gern verheimlichten Schwächen. In Sachen Lebensmittel-Inkridenzien-Zuordnung (der Wahnehmung jener nach Geschmack) bin ich z.B. der Looser vor dem Herrn. Vielleicht kann man auch von (m)einem Handycap sprechen. Ich esse etwas, es schmeckt oder schmeckt nicht, aber ob im Süßigkeiten-Riegel ein kleiner Anteil von Pflaume oder Pfirsich war, schmecke ich nicht! heraus. Ich sage dann allenfalls als workaround: "schmeckt nicht so trocken sondern irgendwie saftig". Menschen der nahen Umgebung können dann oft dezidiert schildern, was sie alles ganz konkret herausschmecken, in jener Süßigkeit. Oder: ob im kühl dargereichten Sommergetränk neben Tafelwasser eine Prise Zitrone oder Ingwer beigemischt ist...? ich vermag es nicht zu unterscheiden. Ich sage dann als workaround "das leicht saure erfrischt und schmeckt gut!" Was es wirklich war? ich weiß es nicht. Andere anwesende können jenes Getränk und dessen Inhaltsstoffe meist toll erkennen und differenziert benennen. Ich leider nicht... schnief.
Vergleichbar erlebe ich dies bei der Wahrnehmung von "Timingschwankungen". Ich kann mich an unzählige "Satellitenschaltungen" oder sonstige Zuspieler im TV aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern erinnern, wo ich sofort sagte "Die Lippen sind nicht synchron zum Ton." Es machte mich krank. Andere im Raum sagten sie bemerken nichts... mitunter dann nach 3 Minuten: "stimmt, jetzt sehe und höre ich es auch". Aber manche sahen es nie, obwohl Bild und Ton für mich so immens! abwich oder immens abzuweichen schien.
So hat jeder Stärken und Schwächen, die sich auf die (individuelle) Wahrnehmungsebene beziehen.
Um es etwas aufzulockern ein paar reale Beispiele mit gewisser Dynamik sei es für das Bandgeschehen, sei es für die persönliche Entwicklung als Musiker:
1.) Ein erwachsener Drumschüler spielte in einer Band. Es gab immer wieder Diskussionen bei einem! Song in diversen Bandproben. Der Drummer war sich sicher, es stimmt etwas nicht zwischen seinem Anschlag und jenem der Gitarre. Der Gitarrist sagte: "Nein, es ist alles korrekt." Mehrere Proben wurden bei jenem! Song somit völlig verschieden bewertet. Irgendwann wurde ein Proberaum-Mitschnitt jenes Songs gemacht um unter sachlich- höranalytischer Akribie, nach der Darbietung des Songs wie einer CD konzentriert zu lauschen. Nun wurde deutlich das im Verlauf des Songs an einer Stelle eine große Lücke zwischen dem Gitarren-Akkord und dem Crash klaffte. So groß, dass selbst der Gitarrist zugeben mußte "ok, das ist nicht 100 % synchron". Nun kommt es zum unvergeßlichen Satz zum Drummer (sicher mittlerweile weit über die Band hinaus kolportiert). "Was willst Du denn, das ist ja nur eine halbe Sekunde."
Tja, eine halbe Sekunde ist für den einen ein klitzekleiner, vernachlässigbarer Augenblick, für andere in der Musik die gefühlte Strecke von 15 Kilometern bei trockenem Mund und 50 Grad Außentemperatur bis zur nächsten Wasserstelle in der Sahara.
Alles ist sehr! subjektiv.
2.) Genauso bei der Wahrnehmung von Latenzen bei E-drums, oder der Pegelanzeige oder EQ-Balken-Anzeige mancher Hifi-Geräte. Bei letzteren gibt es oft Hochpreisgeräte wo die Analyser-Frequenzbalken oder Pegelanzeigen super-exakt zu dem Höreindruck der Musik zu passen scheinen, vs. Low-Budget China-Murks wo hingegen deutliche Latenzen bis hin zu "kein Zusammenhang zum Musiksignal erkennbar" sind. Mancher wird sich erinnern, dass Ende der Siebziger und den frühen Achtzigern als die meisten Tapedecks von VU-Metern auf LED oder Flüssigkristallanzeige umgestellt wurden (jene sogar einen 50 DM Aufpreis gegenüber der Ausstattung mit VU-Metern bedeuteten) das Qualitätskriterium die trägheitsfreiere!, schnellere Pegelanzeige war, gegenüber den prinzipiell eher trägen VU-Metern.
3.) Der Post heute ist fast "latenzfrei" getriggert durch einen neuen Drumschüler (Gitarrist seit Jahrzehnten) der mir aktuell erzählte, immer wieder Diskussionen mit einem Bandmitglied zu haben. Das Bandmitglied wird dann zuweilen sehr laut (nicht vom Instrument sondern von seiner Stimme, wenn er heftig polternd argumentiert im Proberaum).
Thema sind Wahrnehmungsunterschiede in Bezug auf "schräge Töne". Der laut werdende Kritiker hört Töne als eindeutig falsch, die so seine Worte, von der klassischen Harmonielehre abweichen, während der Gitarrist diese an wenigen Stellen bewußt! spielt um eine musikalische Spannung an jener Stelle im Song zu erzeugen. Er nutzt genau jene Töne um sich musikalisch auszudrücken. Was das andere Bandmitglied mit erhobener Stimme als "falsch" und verboten kritisiert, ist für den Gitarrsiten nicht! verspielt sondern geplant und genau so gewollt.
4.) Ich kannte mal einen Keyboarder der viele Jahre lang extrem Harmonielehre-streng war. Viele klassische Klavieretüden notentreu über Jahre spielte mit mathematischer Präzision, die Notenbilder wiedergab. Wir verloren uns aus den Augen nach einem gemeinsamem Bandprojekt um uns dann nach einer "Latenz" von etwa 6 Jahren wieder zu begegnen. Er hatte sich für mich völlig überraschend zwischenzeitlich für historisch recht frühe Boogie-Woogie Klavierspieler der zwanziger und/oder dressiger Jahre interessiert und sich in diese Thematik mit viel Recherche-Akribie und stundenlanger Übe/Spielzeit am Klavier hineingearbeitet. Ich dachte: "Holla, was für eine Veränderung der Hör-Interessen". Früher sprach er oft von Tonalitäten von Bach und Beethoven und genau festgelegte Strukturen und nun sprach er über uralte verrauschte Aufnahmen der Frühzeit der Aufnahmetechnik mit hoher Improvisationskunst an nicht selten leicht verstimmten alten "Saloon"-Klavieren ;-), die Atmosphäre hätten. Doch nun wurde es interessant: er sagte diese für ihn neu-entdeckte Musik hätte zu einem ganz neuen Zugang zur Harmonielehre für ihn geführt. Denn in jenen alten Boogie Woogie Aufnahmen wären diverse Akkorde zu hören, die nach klassischer Harmonielehre eindeutig falsch und unbedingt zu meiden respektive verboten sind. Er empfinde jene mittlerweile aber nicht mehr als falsch, je mehr er diese Musik höre, sondern empfinde diese als musikalischen Ausdruck!, Reibung und Spannung! erzeugend.
Es ist in all den Jahrzehnten und unzähligen Schilderungen von Kollegen und vielen eigenen Erlebnissen immer wieder erstaunlich,
I wie unterschiedlich, hoch-individuell Menschen wahrnehmen
und mehr noch:
II wie wenig den diskutierenden Menschen bewußt ist, dass es die unterschiedliche Wahrnehmung bzw., das negieren dieser Unterschiede ist, die zu leichter Mißstimmung, bis zu bad vibes oder letztlich lautstarkem Diskussionsbedarf im Proberaum führen.
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Beenden möchte ich den Post mit einem Höreindruck eines Motörhead-Songs (den mir vorhin! Youtube vorschlug und der mich mit der gestrigen Story siehe Punkt 3 oben zu diesem Thread veranlaßte. Ich mußte! geradezu aufgrund des zufälligen Zusammenfallens dieser zwei "Ereignisse" diesen Thread zur Wahrnehmung eröffnen). Nur beiläufig erwähnt: ich wußte bis vorhin gar nicht, dass die Band Instrumentalsongs machte.
Mir fielen aber sofort die Latenz(en) in den ersten Sekunden zwischen drums. bass und Gitarre auf. Es geht mir nicht darum jemandem "Fehler" nachzuweisen oder zu unterstellen, jeder von uns hat schon (noch dazu völlig unerfolgreich!) bei Songs daneben gespielt. Motörhead war eine Kultband ob man sie mag oder nicht, und kaum ein sterblicher wird deren Erfolg auch nur annähernd erreichen können. Das Video-Beispiel "nur" deswegen, weil ich einen Kommentar eines Youtubers las, der so viel weiter von meinem subjektiven Höreindruck ist, als die Erde vom Rand des Universums. .
Es geht nicht! um rechthaben sondern um abweichende Wahrnehmungseindrücke. Er hat in seiner subjektiven Wahrnehmung womöglich irgendwie recht und ich womöglich auch in der meinen ebenso subjektiven Wahrnehmung. Für den einen ist wenig viel, für den anderen ist wenig noch weniger.
Wer (aus Spaß) meine Wahrnehmungsebene bei jenem Song betreten will, kann vielleicht mal von 0:11 bis 0:15 hören.
Ich persönlich höre die rauhe, rotzig-freche, schwankende Punkattitüde
Ein anderer bei Youtube postet dies:
I dig a lot of their instrumental tunes, let's you really focus on the instruments and realize just how tight these guys were.