Interessantes Thema, meine Gedanken, jedenfalls zum Ausgangsthema:
I. Ich denke, dass Kunst- bzw Musik-Konservatorien schon immer in gewisser Weise leblos und starr waren, der Entwicklung der Kunst selbst hinterherhinken und nur einen vergangenes Bild der Realität zeichneten bzw nie auf der Höhe der Zeit waren.
Es liegt wohl in der Natur der Sache: Konservatorien dienen in erster Linie der Vermittlung von Wissen und Technik, nicht von Ideen, sie vermitteln Erkenntnisse, die notwendiger Weise in der Vergangenheit liegen und keine ungesicherten, spannenden und ungeprüften Entwürfe in die Zukunft hinein.
Zudem kennen wir es ja auch aus anderen Themengebieten, dass nämlich alles, was zerlegt, observiert, bis ins Kleinste untersucht und wissenschaftlich seziert wird, am Ende immer auch einer gewissen Leere anheimfällt und dann nur noch recht unspannend, siechend und un-hip daherkommt.
Die ganz großen Ideen, Entwicklungen, musikalisch als auch sonst, kamen ja immer schon von den Eigenbrötlern, diesen Nerds, den Einzelgängern, die sich im Leben herumtreiben und eben nicht auf der knochigen Schulbank sitzen bleiben, die nicht nur Notengymnastik betreiben, sondern Gefühle kreieren, manchmal sogar ein Lebensgefühl einer ganzen Generation auf den Punkt brachten. Bei Lichte betrachtet waren diese ganzen Erfinder zwar auch oft nie ganz vom Himmel gefallen (mehr als man denkt hatten zumeist irgendeine musikalische institutionelle Ausbildung), aber die schönsten Blumen finden sich halt nicht am Rand des ausgetreteten Pfades, sondern in den Untiefen dessen, wo noch niemand war.
Konservatorien sind daher systemimmanent die Orte, wo Noten als Atome begriffen werden und nicht als Geschichten: diese haben schon immer die anderen erzählt, nämlich die Musiker selbst.
II. Aber vielleicht treibt einen bei solchen Gedanken auch eher um, dass gar nichtmal die Konservatorien, sondern die Musik als Ganzes ihre Bedeutung zunehmend verliert.
Den Eindruck habe ich tatsächlich auch:
Musik wird zunehmend irrelevant sowohl im individuellen Leben als auch im gesellschaftlichen Kontext.
Im Wandel befand sich Musik zwar schon immer, aber nun scheint dieses gedachte perpetuum mobile irgendwie tatsächlich seinen Spin gänzlich verloren zu haben, wobei wir natürlich ganz gerne vergessen, dass dieser erhebliche Stellenwert von Musik – so wie wir ihn kennen – auch grade mal nur knapp 1 Jahrhundert alt ist:
Denn erst die Erfindung des Radios machte Musik zu diesem fast allzeit verfügbaren und weltumspannenden Kulturgut im Sinne einer im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegenden Wirkung: Erst das Radio brachte in den 40igern deutsche Soldaten im WW2 dazu „White Christmas“ zu summen und GI’s bei „Liliy Marlene“ feuchte Augen zu bekommen. Und erst das Radio ließ aus Tupelo/Mississippi einen Sound seinen Siegeszug um die Welt antreten, der die ganze moderne Welt veränderte bzw in rauchigen Jazzhöhlen in Paris schwermütige Existentialisten zu coolen Trompeten-Klängen von US-Jazzern eine neue Weltsicht beschreiben. Schon zu diesem Zeitpunkt in den 50igern zeigte sich ja auch das erste Mal die gesellschaftliche Relevanz von Musik als Vehikel des Aufbruchs, der Aufruhr und der Erneuerung.
Noch mehr natürlich dann ein Jahrzehnt später, als Musik dann auch noch - erstmalig mit entsprechenden Texten versehen - gesellschaftspolitisches Ausdrucksmittel von ganzen Weltanschauungen wurde. Es folgten die 70iger mit ihrer Musik, die sich selbstverliebt fast ausschließlich um sich selbst drehte und vielleicht grade deshalb zur fast kreativsten Musikphase ever wurde, bis der Punk alles wieder zerlegte und nach dem Auftreten eine kleinen schwarzen Mannes aus Minneapolis und einem zornigem Trio aus Seattle am Ende alles einmal gesagt schien.
Da stehen wir nun, seit gerundet 30 Jahren und haben keine wesentliche grundlegende Entwicklung der Musik mehr zu verzeichnen. Musik ist auch seit langem fast nur noch ein individuell-separierendes Privatereignis, aber keine echte kulturelle Klammer mehr, unter anderen weil der Lagerfeuer-Effekt des Radios ausgedient hat und das Internet nicht nur kein Ersatz ist, sondern das Gegenteil bewirkt: jederzeitige digitale Verfügbarkeit macht beliebig und damit am Ende irrelevant.
Und eben auch die gesellschaftliche Funktion ist der Musik abhanden gekommen. Sie dient entweder dem Hintergrundrauschen, der akustischen Verkleisterung von Teenager-Träumen oder aber dem reinen Abtanzen als unemotionalem und eher sportivem Hörerlebnis, aber keiner gesellschaftlichen Strömung mehr.
Selbst modernste Bewegungen kommen gänzlich ohne sinnstiftende allgegenwärtige Begleitmusik daher, die Eltern der „fridays-for-future“ konnten noch zu „Karl-der-Käfer“ die innere Nabelschau betreiben oder zu "es geht voran" von spät -halb-anarchistischen Befreiungen shouten, die Großeltern von „Black-Lives-Matter“ noch zu Otis Redding „A change is gonna come“ von Veränderung träumen und die 68er zu den stonigen „Rape-Murder-is-just-a-shot-away“ den Bürgerkrieg zumindest wütend imitieren.
Aber heute ? Angeblich leben wir heuer in der schlimmsten, dreckigsten, undemokratischten und rassistischten Welt aller Zeiten und was läuft im Radio ? Eine Shirin David hält ihren Allerwertesten mal wieder in die Kamera und Farid Bang & Capital Bra betreiben „Kampfsport“.