Vorlesung, Musik- und Charaktertheorie. Erste Stunde.
Bitte Platz nehmen. Denn ich möchte mit euch anschließend diskutieren.
Immer wieder kann hier und in anderen Foren und Zeitschriften gelesen werden, man müsse bzw. solle als Musiker seinen eigenen Stil entwickeln. Aber was ist der eigenen Stil, wie findet jemand zu ihm und wie lange dauert dies? Ist ein Stil ein festes Merkmal einer selbst oder wandelt er sich? Was beeinflusst ihn? Ist eine didaktische Begleitung eines Musikers sinvoll oder zerstört sie evtl. gar die Identität, den eigentümlichen Charakter, den "Stil" des Musikers? Darüber würde ich gerne mit euch einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch initiieren.
Ein wenig etwas vorweg: Wer sich in der Kunst abhebt, ist zumeist jemand, den man an seinem eigenen Stil erkennt. Ein Markenzeichen, wenn man so will, das ausgebildet wird. Egal ob wir von Renoir, Vermeer, Rembrandt, Rubens, Dix, Dalí oder Liechtenstein reden, sie alle hatten ihre künstlerische Handschrift. Ein Blick verrät: Aha, das ist doch Otto Dix. Und das ist Dalí. In der Literatur ist die Schreibe Edgar Allan Poes unverkennbar, ebenso bei Orhan Pamuk, Gottfried Benn, Goethe oder Thomas Mann und so fort. In der Musik gibt es ebenso klare Linien: James Brown ist James Brown, Bach klingt wie Bach, Händel wie Händel, Wagner wie Wagner, Pet Shop Boys nach Pet Shop Boys.
So weit, so gut. Dröseln wir das weiter auf unser Gebiet runter, wird es schon etwas komplexer.
Da nicht wenige Drummer viele Genres abdecken bzw. auch mal die Band bzw. das Projekt wechseln, gibt es so einige, die schwer in Schubladen zu stecken sind. Dazu gehören u.a. Shirley Manne, Hal Blaine, Bobby Graham, Mike Botts, Matt Chamberlain und Karl Brazil, allesamt bekannte Schlagzeuger, die eher durch ihre Vielfalt Musikgeschichte geschrieben haben, denn durch einen "Signature"-Klang, der überall sofort herauszuhören ist. Aber allesamt ganz famose Musiker.
Einige andere Drummer haben hingegen ein "Signature"-Spiel oder aber einen besonderen Klang herausgearbeitet, wodurch sie erkennbar macht. Steve Jordan, Dave Weckl, Ringo Starr, Buddy Rich, Joe Morello, John Bonham, Charlie Watts und Manu Katché sind einige Beispiele hierfür. Hier paart sich "individueller Klang" mit Musikalität.
Sicher stellt sich manchem die Frage, wie weit und ab wann es sinnvoll sein kann, einen eigenen Sound herauszuarbeiten oder aber ein Chamäleon zu sein, wenn es um die Planung der (beruflichen) Zukunft geht. Bei einem Fokus auf die Studio-Karriere würde Vieles für "Vielseitigkeit" als oberstes Kriterium sprechen. Beim Fokus auf ein Band-Projekt könnte der "Signature"-Sound hingegen besser für die Karriere sein, da er der Band eine besondere Identität verpassen kann. Beides kann aber sicher auch in eine Sackgasse führen, wenn man Pech hat.
Nun die Fragen an euch:
Würdet ihr sagen, dass ihr einen eigenen Stil entwickelt habt? Ist der Prozess für euch bewusst oder unbewusst von statten gegangen, sprich, habt ihr daran gearbeitet oder hat es sich im Laufe der Jahre von selbst herauskristallisiert und wann habt ihr gemerkt: Aha, DAS bin ich also...? Was hat euch dabei geholfen oder behindert, euch selbst als Drummer zu finden. Wie lange hat der Selbstfindungsprozess gedauert (wochen, Monate, Jahre?) und was bedurfte es (Lehrer, spez. Equipment, geistigen Reifeprozess/Lösen von Vorbildern,...)?
Vielleicht dazu noch folgendes, wozu man sich zusätzlich Gedanken machen kann. Wird z.B. in einem Konservatorium der eigene Stil "wegerzogen", weil nach recht starren Mustern gelehrt wird und keine Freiheit in der Entfaltung der eigenen musikalsichen Persönlichkeit gewährleistet wird (diese Meinung wird von einigen Musikern vertreten)? Sind "musikalische Vorbilder" für die Entwicklung des eigenen Stils hinderlich oder förderlich? Sprich: Wird der Charakter des Dummers durch das "kopieren und beeinflussen lassen" schlimmstenfalls fehlgeleitet (Extremes Beispiel: Ein Drummer, der für Polyrhytmisches aufgrund seines Talents prädestiniert ist, verirrt sich zu, sagen wir mal, den Flippers) Oder kann sich der eigene Stil gerade erst durch(!) die bewusste Auseinandersetzung mit verschiedenen Musikern herausbilden? Oder ist es doch eher das weitere soziale Umfeld, dass den Stil entscheidend prägt?
Bin gespannt, wie ihr das seht und welche Erfahrungen ihr gemacht habt. Oder welche Tipps ihr anderen mit auf den Weg geben könnt.