Ich höre dauernd "Netzgemeinde". Das klingt oft so nach elitärer, aufklärerischer Interessenminderheit, wobei es sich doch eigentlich um die gesamte des Lesens und Schreibens mächtige Gesellschaft handeln dürfte.
Verrückte Welt. Man kann eben keinem mehr blind vertrauen.
Damit sprichst du ein weiteres Problemfeld an, das auch Peupeldrum schon mal kurz erwähnte.
Blind vertrauen konnte man noch nie jemandem; das Vertrauen in politische Entscheidungsträger scheint aktuell in besonderem Maße beschädigt.
Tatsächlich ist es auch eine Schande, wie staatsführend Wirkende ihre Vorbildfunktion im Amt verlassen und den Eindruck einer auf den persönlichen Vorteil bedachten, machtgierigen dissozialen Betrügersuppe hinterlassen haben. Und ausgerechnet Vertreter dieser Spezies sollen nun über globale Abkommen entscheiden, und dabei mangels eigener Kompetenz ausgerechnet Medienkonzerne mit ins Boot holen, deren Interesse eher die Einvernahme des gesamten Internets für sich ist, als es dem freien Volk zu überlassen.
Alles richtig! Daran krankt die Politikinteresse-Situation im allgemeinen und die Web-Regulierung im besonderen massiv. Und nicht zuletzt unsere Kanzlerin schürt das Vertrauensdefizit, indem sie sich bis zu den lang ersehnten Rücktritten hinter die Im-Amt-Gescheiterten stellt - scheinbar, ohne zu wissen, wie gefährlich mangelndes gesellschaftliches Einvernehmen mit politischen Kräften ist, sollen anarchistische Entrechtungs-Ideen nicht zum Zug kommen.
Aber: Was sollte die Konsequenz sein?
Dass gesetzgeberische Vorhaben im allgemeinen und z.B. ACTA im besonderen kritisch beäugt werden, ist eine gute Konsequenz!
Dass oppositionelle politische Kräfte mit alternativen Ideen wachsen, ist eine gute Konsequenz!
Dass Heerscharen von Download-Wütigen einer anonymen "Hackerbewegung" hinterherrennen, deren wahre Interessen (Youtube? Google? Lobbyarbeit? Schnorrertum? Raffsucht?) niemand kennt, mit dem Ziel, ein Recht, dessen Anpassung an die virtuelle Realität nicht ganz unproblematisch verläuft, schlichtweg abzuschaffen, bevor Ideen einer tragbaren Anpassung zuendegedacht sind, könnte der demokratisch Interessierte allerdings eher als möchtegern-politische Sandkasten-Aktivität als als gute Konsequenz ansehen.
Abstrakt ist das Urheberrecht eine Materie, die kreativen Personen ein Auskommen sichern soll [sic], u.a. um kreative Betätigung zu förden.
Grundlegende andere Rechtsgebiete, wie z.B. das allgemeine Strafrecht, sind eher geläufig und einfacher zu regeln und zu verstehen. "Du sollst nicht töten, stehlen, etc.", sind allgemein anerkannte Regeln.
Nachdem diese erlernt sind, stößt man nun auf "Du sollst den Kreativen ihr Auskommen lassen" und versteht die Welt nicht mehr, nachdem man doch längst unaufgeklärter Gewohnheitstäter ist und bekannte Gaga-Künstler in sicheren Verhältnissen wähnt.
Dann tauchen Leute wie Guttenberg auf und sorgen für ein konkretes Misstrauen hinsichtlich urheberrechtlicher copy&paste-Belange. Der soll also damit durchkommen und ich armer Kulturinteressierter werde kriminalisiert?
Fakt ist: Er ist damit _nicht_ durchgekommen. Die Existenz des Urheberrechts hat dafür gesorgt, dass seine Doktorwürden nicht bestehen. Um seine sonstige Würde mag er sich selbst kümmern, als reich Geborener wird er sich schon durchschlagen.
Bewundernswerte Teile der "Netzgemeinde" haben zur Aufklärung der Affäre beigetragen und im selben Zuge die Schutzwürdigkeit geistigen Eigentums demonstriert!
Nachdem man also anerkennen sollte, dass Urheberrecht nichts Böses ist, bleibt der Anpassungsbedarf an das digitale Zeitalter, in dem die Übernahme fremden geistigen Eigentums für persönliche Zwecke besonders einfach ist, siehe gewisse Dissertationen.
Hinsichtlich der Kulturschaffenden, die nicht gerade Gaga heißen, besteht das Problem, dass die mühevolle Produktion künstlerischer Werke sich mangels Gegenwert nicht mehr lohnt, nicht einmal der Gedanke daran, davon zu existieren (nicht allein durch das Internet bedingt!). Das bestehende Urheberrecht funktioniert insofern also nicht. Andererseits sehen bereits die in den meisten Industrieländern vorhandenen Regeln Sanktionen für das sprichwörtliche "Guttenberging" vor - dafür, dass man sich einer wissenschaftlichen Kompetenz oder einer umfangreichen Mediensammlung berühmt, ohne dafür eine Gegenleistung erbracht zu haben. Die Frage ist die nach deren Anerkennung und Durchsetzung.
Kontrolle und Verfolgung eines jeden Internet-Nutzers wird aber nicht funktionieren. Zwar sieht ACTA wahrscheinlich [sic] lediglich vor, dass auch in anderen Ländern Durchsetzungsinstrumente (Kundendaten-zu-IP-Herausgabe auf richterliche Anordnung, Schadensersatzforderungen, Beschlagnahme, Strafverfolgung bei gewerblichem Ausmaß etc.) installiert werden, die EU-weit bereits lange vorhanden sind. Der Umstand, dass man "wahrscheinlich" sagen muss (weil ACTA unkonkret formuliert ist und das Zustandekommen nicht gerade für einen Vertrauensvorschuss gesorgt hat), ist aber genau der Kritikpunkt, an dem die Ratifizierung derzeit glücklicherweise scheitert.
Jetzt ist also der Zeitpunkt, an dem die bewanderte "Netzgemeinde" sich an einem Alternativmodell beteiligen sollte, anstatt jede Urheberschaft allgemein abzuerkennen.
Im Raum stehen "Kulturflatrate", "Staatliche Teilfinanzierung über Abgaben zur Kulturförderung", "Gegenleistungen durch (scheinbar unendlich vorhandene) Werbeeinnahmen", "Neuorganisation der Verwertungsgesellschaften" und so weiter.
Ein zuende gedachtes Konzept liegt aber nicht vor. Die oben genannten sind es bisher nicht, ACTA ist es nicht, IPRED ist es nicht.
Also tut doch bitte auch im Folgenden etwas, was etwas bringt; interessiert euch für die Interessenlagen, macht ein paar seriöse Vorschläge, anstatt euch als paradoxe Mische aus sich unfrei wähnenden Möchtegern-Guttenbergs und gleichzeitig revoltierenden Robin Hoods aufzuspielen. Unrefklektierte "Fuck ACTA"-Slogans sind lediglich bemitleidenswert.
Zur Vermeidung habt ihr vorerst beigetragen - danke - aber jetzt geht es an's Konstruktive, wenn ich bitten darf.
Bis dahin muss nämlich das alte Recht herhalten.
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