Liebe Mitmusiker,
nachdem ich ein paar Monate hier mitgelesen habe, möchte ich als Noch-fast-Neuling etwas anmerken, das mir aufgefallen ist - und zwar, bevor ich mich dran gewöhne und es mir selbstverständlich erscheint.
Findet Ihr es nicht auffällig, dass in diesem Forum zu bestimmt 80% über Equipment geschrieben wird und sich nur ein verschwindend geringer Rest über das tatsächliche Spielen unterhält?
Mein erstes Schlagzeug (mit 11 [das ist jetzt mehrere Jahrzehnte her], nachdem leere Eiscremebüchsen nicht mehr schickten) war ein "Taifun". Billigste Fernostware, Presspappe, einstrebige Wackelhardware und das Pedal der Bassdrumfussmaschine ist nach einem Jahr - wohl auch dank zu enthusiastischer Spielweise - gebrochen. Dafür hat die Wurzel incl. Meinl Raker 14" HH und 20" Ride runde 1000,- DEM gekostet, und ich hatte lange Freude daran, weil ich drauf spielen konnte - zum Üben, bei Proben und auch meine kleinen Gigs.
Alles, was man heute selbst für einen Bruchteil des Geldes kaufen kann, ist qualitativ höherwertig. Ich schlussfolgere mal, dass sich das Preis-/Leistungsverhältnis gerade bei günstigen Einstiegsschlagzeugen kontinuierlich verbessert. Trotzdem herrscht hier im Forum bei vielen Mitgliedern die offensiv verteidigte Meinung vor, das meiste von diesen Einstiegsdrums wäre unbrauchbarer Mist, der selbst für den jugendlichen Einsteiger, der erstmal ausprobieren will, ob ihm die Trommelei überhaupt liegt, ungeeignet ist.
Gleichzeitig habe ich in meiner nun über 15 Jahre andauernden Karriere als Tontechniker viele, viele, viiiiieeele Amateurbands gemischt, viele Schüler- und Nachwuchscombos, aber auch einige wenige Größen unseres Instruments, und dabei möchte ich mal folgendes festhalten: 85 % derer, die mit einer Trommel auf eine deutsche Stadtfestbühne kommen, beherrschen ihr Instrument (spielen und stimmen) nur mangelhaft oder unvollständig. Wackelndes Timing, total versaute Stimmungen, die katastrophale Selbstüberschätzung bei kniffligen Fills oder absolute Groovelosigkeit bei zu covernden Signature-Grooves, null musikalische Einfühlung und Geschmack... Es tut oft weh, was ich da unter den Faderfingern hatte.
Natürlich ist das nicht der Maßstab, aber das ist die Masse, die miseri contribuens plebs. Heisst, die Basis der Pyramide, der größere Teil der Amateurtrommler ist fachlich eher bedenklich. Gleichzeitig ist für viele das Material Maß und Maßstab für die Güte der künstlerischen Darbietung, man mutmaßt gar, mit nicht adäquatem Equipment keine befriedigende musikalische Leistung erbringen zu können - als Beweis mögen hier eine Vielzahl von Beiträgen gelten.
Wie ging das eigentlich früher? Wie konnten ein Keith Moon, ein Buddy Rich, ein Elvin Jones mit einstrebigen Beckenständern so gut spielen? Wie konnten ein Phil Collins oder ein John Bonham zu Zeiten, als man die Anzahl verfügbarer Fellmodelle an einer Hand abzählen konnte, ihren unverwechselbaren Sound schaffen?
Und umgekehrt: Wird ein Lars-Kevin Hugendubler, ein Seven (sorry, Jan ) oder ein Tobias Zw. ein besserer Künstler, weil sie sich die Mörder-Superduper-DW-Ayotte-Sonor-Mühle für einen hohen vierstelligen Betrag (nur für's Shellset) vom Mund absparen (verkauft man halt sein Auto dafür)?
Oder sollten Fähigkeiten und Werkzeug - denn das ist unser Instrument, das Werkzeug zum Umsetzen unserer Musikalität in hörbare Musik - nicht vielmehr einander angemessen sein? Kann man nicht auch auf der 100,- € - Snare sensationelle Soli spielen? Hört überhaupt einer im Publikum, der Geld dafür bezahlt hat, um uns zu hören, ob da ein Mapex Pro M, ein Basix oder ein Recording Custom stehen?
Oder sind ist das nicht oft die blanke Kompensation, das unbewußte Eingestehen, dass es einfacher ist, Equipment zu kaufen als es tatsächlich zu bedienen zu lernen?
Klar, das neue Set im endgeilen whiskey-fade-sunburst-sparkle-Finish macht ein großes Gefühl in der Unterhose... doch führt das zu musikalischer Befruchtung oder zu fruchtloser Masturbation?
Nur mal so als Denkanstoss... tolles Equipment ist sicher schön, aber es ist der Anfang des Weges, nicht das Ziel.
Oder seht Ihr das anders?
Mit freundlichen Grüßen
Tobias Zw.