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Bosheiten aus Baumwolle
Sie waren hässlich, ausgebeult und immer viel zu groß: Nachgedruckte T-Shirts mit Rockband-Motiven erfreuten sich trotz ihrer miesen Qualität größter Beliebtheit. Früher, denn heute gibt es sie nicht mehr. Und das hat einen ganz bestimmten Grund.
Am Verschwinden der Holländer sollten wir es erkennen.
Unser Nachbar im Westen geistert ja in erster Linie als Klischee durch deutsche Gehirne: Er kann gut Fußball spielen, er vagabundiert - selbstverständlich Käse verzehrend und mit Holzschuhen an den Füßen - den ganzen Tag im Wohnwagen durch die Gegend, er züchtet Blumen und raucht Marihuana. Und wenn er mal einen Hügel sieht, denkt er gleich, er sei in den Alpen. Dabei haben die Holländer (auch oder gerade jene, die nicht Frau Antje oder Rudi Carrell sind) eine wirklich wichtige Sache für die Deutschen getan: Sie haben den deutschen Besuchern von Popkonzerten die Augen dafür geöffnet, dass die Musikkonzerte immer mehr vom netten Beieinander zu einer kalten Geldmaschine verkommen sind. Sie haben es uns gezeigt, indem sie auf einmal nicht mehr da waren.
Der Markt für Band-T-Shirts war Ende der Achtziger und zu Beginn der Neunziger fest in der Hand der sympathischen Nachbarn aus dem Oranje-Reich. Sie verkauften die mit Abstand hässlichsten T-Shirts, die ich jemals sah, aber ihre Verkaufsflächen (Stände kann man nicht sagen, weil sie die Shirts einfach vor sich auf den Boden legten) vor den großen Konzerthallen waren immer schwer belagert.
Und hier der Satz, der Sprüchen wie "I'll be back", "Bond, James Bond", "Hasta la vista" oder "This is Sparta!" locker Konkurrenz machen kann: "T-Shirt Ten Marks!!".
London, Deutschland, Hamberg
Solche Shirts waren natürlich nie vom jeweiligen Band-Management abgesegnet. Sie sahen völlig anders aus als die offiziellen T-Shirts der jeweiligen Musikgruppen; meist war der Aufdruck nur das aktuelle Plattencover. Die Tourdaten auf dem Rücken waren in aller Regel falsch geschrieben, Hamburg hieß Hamberg, kleinere Städte wurden als "Deutschland" zusammengefasst, was dann in etwa so klang: 2.3. London, 3.3. Birmingham, 5.3. Berlin, 6.3. Deutschland, 7.3. Amsterdam, 8.3. Deutschland, 9.3. Köln, 10.3. Hamberg.
Die T-Shirts gingen, egal ob XS oder XXXL, grundsätzlich bis zum Knie und waren so weit geschnitten, dass man bei Bedarf auch in ihnen hätte wohnen können, wenn der Stoff nicht so billig gewesen wäre. Man konnte diese Kleidungsstücke allerdings sowieso nur kurze Zeit tragen. Einfach weil sie so wahnsinnig mies aussahen. War der Rausch des Konzertes verflogen, schämte man sich sofort für die fiesen Lappen.
Aber die Shirts hatten auch Vorteile. Durch ihre schiere Hässlichkeit waren sie authentisch, einfach weil man sie nirgends bestellen konnte: Man musste also wirklich beim entsprechenden Konzert gewesen sein, um eins zu verdienen. Die Hässlichkeit zeichnete den Träger weiterhin als echten Anhänger aus. Warum zur Hölle sollte man sonst ein solches Un-Kleidungsstück tragen? Ich erinnere mich an ein Toto-Konzert, dem ich beiwohnte … das heißt, an das Konzert erinnere ich mich eigentlich nicht mehr - was kein Wunder ist, da Toto eine völlig belanglose und langweilige Radioband ist - aber ich weiß, dass ich später sogar das Shirt zum Konzert trug und mich dann jemand darauf ansprach: "Hey, bei dem Konzert war ich auch", sagte er, und schon konnten wir fachsimpeln. Ich kann mir im Nachhinein allerdings nicht erklären, was ich auf einem Toto- Konzert wollte. Es ist mir unangenehm.
Jagd auf die Shirt-Verkäufer
Ich gehe immer noch zu Rockkonzerten. Holländische T-Shirt Händler vor den Hallen habe ich aber schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Und da höre ich es, das Stampfen und Schnauben der Geldmaschine. Denn Bands und Managements haben die Merchandising-Daumenschrauben in den vergangenen zehn Jahren kräftig angezogen. Im selben Zeitraum sind ja auch Konzertkarten wahnsinnig teuer geworden. Sie haben die Holländer zusammen mit ihren Shirts für "Ten Marks" vor den Konzerthallen vertrieben, damit wir drinnen die Shirts für "Sixty Euros" kaufen. Ich habe einmal eine knallharte Polizeirazzia vor der Frankfurter Festhalle gesehen, bei der regelrecht Jagd auf die sympathischen niederländischen T-Shirt-Verkäufer gemacht wurde.
Es gibt also keinen Grund mehr, überhaupt eines der völlig überteuerten Band-Shirts zu kaufen, jetzt wo es keine Holländer mehr gibt.
Zugegeben: Kein anderes Kleidungsstück transportiert so schnell und sicher, was für ein Mensch da in der Hülle steckt. Aber will man das überhaupt wissen? Ich will nicht aufgrund der Musik beurteilt werden, die ich höre. Genauso wenig wie ich aufgrund des Saftes beurteilt werden will, den ich trinke. Okay und vielleicht auch fair wäre es, wenn Menschen nach der Partei beurteilt werden, die sie wählen. Trotzdem würde sich kaum einer ein T-Shirt anziehen mit "SPD" oder "CDU" oder noch viel schlimmer: "FDP" darauf.
Das spannende Leben, das wir nicht haben
Gute Musik wird auf T-Shirts ohnehin selten gewürdigt. Ich habe noch nie ein Mother-Tongue-T-Shirt, gesehen und Lee Hazlewood oder Tom Morello auf Baumwolle ist mir auch noch nicht begegnet. Dafür wird man mit Müll wie NoFX oder anderem Kram belästigt. Zudem ist im Zuge der Style-Werdung von allen möglichen Wichtigtuern die Band hinter dem Namen auf dem Shirt ohnehin nicht mehr so wichtig. In Hamburg, Berlin oder Köln tragen schon seit geraumer Zeit alle Ramones- und Motörhead-Shirts. Aber wer hört schon Motörhead oder die Ramones?
Die Beliebtheit von Band T-Shirts wird sich wohl am ehesten so erklären lassen, dass Rock 'n' Roll ein spannendes Leben verspricht und die meisten Leute dieses Leben nicht haben. Es liegt mir fern, mich da auszunehmen. Was dieser These allerdings entgegensteht ist, dass auch Anhänger von Pur ein T-Shirt mit dem Bandmotiv tragen. Da könnte man auch gleich ein Shirt mit dem Gesicht von Günther Oettinger anziehen.
Noch so eine Erklärungs-Sackgasse ist, dass Band-T-Shirts die Individualität ihres Trägers betonen. Das kann man leicht an den 7000 andere Leuten sehen, die während des Konzertes dasselbe Hemd tragen.
Ironie? Funktioniert nie
Auch der allseits beliebte Dreh mit der Ironie funktioniert nicht bei einem Band-T-Shirt. Ich hatte mal ein T-Shirt der New Kids On The Block. Clever dachte ich, jetzt bist du ein ganz Schlauer. Das Problem an der Ironie auf Hemden ist: Leider weiß niemand, dass die Darbietung ironisch gemeint ist, wenn du dir nicht ein erklärendes Schild umhängst. Ich habe das T-Shirt jedenfalls bald wieder weggeworfen.
Im schlimmsten Fall sind Band-Shirts einfach nur arrogant. Tocotronic-Shirts zum Beispiel sind bei mir ungefähr so positiv besetzt wie ein Magendurchbruch. Das liegt gar nicht an der Musik, ich mag Tocotronic. Leider pflegt die Band aber immer noch diesen komischen "Wir rauchen und diskutieren, haben keinen einzigen Muskel im Körper und wiegen nur 43 Kilogramm, unser Gehirn ist dafür aber so groß wie ein LKW und irgendwie sind wir allen überlegen"-Duktus. Was soll man also von Leuten halten, die mit einem Tocotronic-Shirt herumlaufen? Vielleicht sind es nette Menschen, aber das werde ich nie herausfinden, weil ich denke, dass die Leute mit den T-Shirts denken, dass sie mit mir nichts zu tun haben wollen. In diesem speziellen Fall ist es allerdings nicht so schlimm. Denn ich habe noch nie einen Tocotronic-T-Shirt Träger gesehen, der älter war als 16.
Rebellion und die beste Band der Welt
Leider ist über die Geschichte von Band-T-Shirts nichts bekannt. Man weiß nicht mal so recht, wie viele solcher Shirts pro Jahr an den Konzertbesucher gebracht werden. Klar ist nur, dass die Geschichte des T-Shirts an sich eine junge ist. Erst während der beiden Weltkriege wurde es im Militär aufgrund seiner einfachen Herstellung und Flexibilität für verschiedenste Klimazonen massenweise produziert. Im normalen Leben trug man Hemden.
Erst in den fünfziger Jahren wurde das T- Shirt im zivilen Leben populär. Grund dafür war vor allem James Dean: Er machte das Shirt zum Zeichen von Rebellion und Jugend. Daher passt es seit jeher und bis heute zu Schweinerock aller Art.
Nebenbei gesagt: Ich war mal Bassist in der großartigsten Band aller Zeiten. Wir hießen "Blindfisch", spielten großartigen Crossver- Funk, und natürlich glaube ich, dass wir unserer Zeit weit voraus waren und nur aus Boshaftigkeit der zuständigen Plattenmanager heute keine Rockstars sind. Band-T-Shirts hatten wir aber nicht. Vermutlich hätte sie nicht mal ein Holländer getragen.