Timing im Verlauf der modernen Musikgeschichte.

  • Seid gegrüsst!
    Ich wollte mal eins der meistdiskutiertesten Themas aufgreifen, die Suchfunktion konnte mir keinen Thread aufzeigen, bei welchem das Thema in meinem Sinn besprochen wurde. Es geht ums Timing. Als Musiker ist man in gewisser Weise an die Hörgewohnheiten der Musikkonsumenten gebunden. Unser Musikgeschmack hat sich aufgrund der technischen Entwicklung im letzten Jahrhundert stark verändert, was nicht zuletzt auf den Gebrauch von Samplern und Sequenzern zurückzuführen ist. Seit dem Einzug der elektronischen Musik, wird das Timing viel stärker gewichtet, als das in den 70ern und früher der Fall war. Dies führt dazu, dass viele Produzenten Tonspuren "quantisieren" und exakt über ein Raster setzen.
    Ich finde diese Entwicklung zielt in die falsche Richtung. Man könnte an dieser Stelle etliche Beispiele anhängen, die für heutige Verhältnisse "wacklig" klingen aber trotzdem (oder genau darum) einen wunderbaren Live- oder Jamcharme versprühen.
    Was haltet ihr von der ganzen Thematik? Was habt ihr für Erfahrungen mit quantisierenden Produzenten? Wird der Trend in Zukunft wieder "back to the roots" Richtung, Groove statt Raster gehen? An welchen Vorstellungen orientiert ihr euch?


    Bis dann, blenderhead.

  • Nun, die Zeit der programierten und quantisierten Beats hat ihren Höhepunkt wohl hinter sich und es sind vermehrt wieder Drummer in der Musik zu hören. Es gibt Produktionen, da wird ganz bewußt auf die Moglickeiten der Technik verzichtet, damit es nicht so steril und mehr menschlich klingt. Trotzdem sollte ein (Studio)-Drummer klickfest sein.

  • Die amtlichen, also professionellen, Drummer, die ich persönlich kenne, arbeiten sogar bei ihren eigenen Kompositionen u.a. an "Drum and Bass"-mässigen Sachen, entwickeln ihren eigenen Sound also auch am Massstab der maschinellen Präzision. Ich verweise da z.B. auf Ulf's DVD.


    Live ist häufig ein Klick im Spiel, also was bleibt?


    Ich persönlich glaube nicht, dass dieser Trend sich noch mal ins Gegenteil verkehrt.

  • Ich denken schon mit dem Aufkommen der „human feel“ Funktion in Rhythmusmaschinen der 80er haben einige Menschen begriffen, daß es einen wirklich gefühlten Unterschied macht, ob etwas groovt und das maschinen eben dieses nicht können. Ich sage immer jedem das was er am besten kann. Es gibt dinge (nicht nur in der Musik), die die Maschine besser macht als der Menschen und anders herum. Wenn es „leben“ soll wird es sehr schwer dieses Gefühl mit der Büchse zu produzieren, aber was genau ist „leben“? Ungenau? Schneller werden an den Stellen an denen es gefordert ist? Langsamer werden um die Spannung herauszunehmen? Kann die Maschine fühlen, wann es ein Stück nach diesen „Ungenauigkeiten“ verlangt oder diese „Fehler“ keine Fehler weil sie richtig innerhalb des Songs passen? Wie klängen Songs von „The Police“, wenn Copelands Drums quantisiert worden wären?


    Ich ganz persönlich halte den Versuch mit Maschinen (sequenzer, Drummaschinen), menschliches Gefühl zu reproduzieren, für eine Notlösung. Wenn es „leben“ soll, müssen Männer ran…ähm Menschen! ;)

    Gruss


    miles_smiles


    ______________________________________________________


    ich und so



    Zitat:
    D
    as video beweist eindeutig, dass Thomas auch im Hochgeschwindigkeitsbereich sich nicht verstecken muss und nicht nur perfekte Grooves in Jazzbands vom Stapel lässt!!!

  • Hi,


    .... stimmt irgendwie beides....
    Mein persönliches Ziel ist es, Feeling und Exaktheit zusammenzubringen, denn ehrlich gesagt: Ich habe weder Spaß, wenn eine Maschine meinen Job übernimmt, noch, wenn ich mich selbst nicht hören kann, weil es so "wackelt".


    Ideal wäre, wenn man timingfest und bewusst das Timing je nach Stimmung variieren kann.


    Gruß,


    Simon2.

  • Herr Erskine hat genau zu diesem Thema gerade ein Buch herausgebracht, leider konnte ich es bis jetzt noch nicht in die Finger kriegen.


    Es ist übrigens nicht exklusiv für Drummer geschrieben :)


    Gruss


    Sebo

    nosig

  • Ich halt deshalb auch nicht viel davon mit Klick Gigs zu spielen...
    Warum sollte man wenn es der Musik zu Gute kommt und es gezielt ist nicht einfach mal langsamer oder schneller werden? Alle andere Dinge dürfen doch auch varriiert werden, solange dies im Sinne der Musik geschieht.
    Mir gefällt Musik auch nicht, die auf "technische" Perfektion ausgelegt ist, und immer excact mit dem Klick laufen muss. Langsamer oder schneller zu werden sind in meinen Augen geniale Stilmittel um die Stimmung zu verändern...
    Der Trend geht leider wohl immer noch etwas zu der technischen Perfektion

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  • in jedem fall darf man "variables timing oder feel" nicht mit dem Unvermögen Mancher verwechseln. Wichtig ist jedoch nur dass das ergebnis stimmt. Unlängst hab ich ein altes steve hillage stück gehört. meine fresse...hatte der drummer dort ein beschissenes timing, harte welle. Aber als ich mein technisches verständnis mal ausgeblendet habe fand ich den song wieder gut. ich hab den song ein viertel jahrhundert nicht mehr gehört und ich weiss das mir das damals natürlich nicht aufgefallen ist. Fazit: Alles mögliche kann ok sein. Momentan bin ich extrem fasziniert von diesem ganzen jungle/drum´n bass zeugs. Hut ab vor den pionieren die angefangen sind diesen elektronischen kram am drumset umzusetzen. Der anspruch an die Time ist da natürlich sehr hoch. Ohne zweifel hat sich das allgemeine timing ausgeprägt. Das ist auch gut so meiner meinung nach. Allerdings hat das auch zur folge das ich mit meinem timing oft nicht zufrieden bin. Also doch scheisse... ;)

  • interessantes thema.


    "let it be" von den beatles kennt glaub ich jeder. wer möchte hier den anfang machen und das ding zu boden stampfen, weil ringo, wenn er aufs ride geht, locker 5 punkte langsamer wird?


    ich erspare mir den aufsatz und sage es mit den worten von sergiu celibidache:


    "Was ich spüre, ist, daß die Konzentration der ganzen pädagogischen Tätigkeit aus der Sorge besteht, das Instrument zu beherrschen. Und das ist lange nicht genug. Man pflegt die Aussprache, aber nicht, was mit der Aussprache gemacht werden muß."


    und weil der mann sowas von recht hat, gibts noch einen oben drauf:


    "Wenn ein Bauer morgens singt, dann macht er reine Musik. Er kümmert sich um nichts, weder um den Text noch um die Noten.
    Er kümmert sich nur darum wie schön dieser Morgen ist.
    Hier liegt die größte Tiefe der Kunst."


    shalömchen.

    Satellite of Love

  • I. Drums vs. Computer


    1. Live
    Also ich denke, die ganze Sache mit den Compi-Drums haben sich aufs NormalMaß runtergeschraubt:


    - Pop: Ich kenne keine einzige Band von Format, noch nicht mal einen Einzel-Künstler, der sich live die Trommeln vom Band schicken läßt. Sie alle lassen trommeln und warum auch nicht: Die Drummer sind derart auf breiter Ebene technisch und timingmäßig versiert geworden, dass es den Maschinen an den Kragen ging. Diese wurden ja nur zu einer Zeit schwerpunktmäßig gebraucht, als die ganzen Sequenzer-Sachen vom Band kamen und es nur wenig Drummer gab, die das spielen konnten. Die Drummer zogen aber schnellstens nach und heute - eigentlich schon seit 15 Jahren - gibts keine Drummer von Format mehr, die im Spielen mit Sequencer-Sachen Probleme hätten.
    Selbst musikalische Kindergarten-Boygroups-oder-Hupfdohlen-Truppen haben Backgroundcombos und damit auch Drummer, die einem (jedenfalls von der technischen Seite) die Zunge raushängen lassen, das war bei Take That so, N'sync, oder heutzutage eben Beyonce und Konsorten.


    - Rock/Metal: Die meisten Kombos brauchen keinen Sequencer und von daher auch wenig bis wenig Click. Aber die Güte auch der meisten der Drummer dort weiß mit einem Click zur Not sehr gut umzugehen, das Niveau ist insgesamt doch sehr hoch. Wobei die Metaller seltsamerweise disziplinierter erscheinen als die Whiskey-saufende und Zigarette-lose-im- Mundwinkel-hängen-lassende reine Rockfraktion. (Naja, Genie war schon immer lässiger als bemühtes Arbeiten =)


    - Unsere Jazzer habens nicht gebraucht, brauchens nicht und werden es nie brauchen. Und doch: Die besten, wir wissen es, sind zugleich auch teilweise zumindest mittlerweile die Perfektesten, wenns um Timing geht.
    Wobei das alte europäische Anti-Groove-Jazzdrumming auch mittlerweile der Vergangenheit angehört. Diese lange Zeit sehr verbreitete seltsame Art von europäischen Jazzdrummern, den Groove aus ihrem Stil zugunsten einer fast schon weinerlichen Vergeistigung zu verbannen, hört man immer seltener.


    2. Studio
    Eigentlich alles siehe oben. Mit der Radiotauglichkeit als allein auschlaggebendes Kriterium für Güte kam der Ruf nach Norm, was in Sachen Zeit halt der Click ist. Ich kanns ja irgendwie auch verstehen. Wenn man Millionen in eine Band steckt, will man auch halt im Studio das beste Ergebnis haben.
    Aber hier waren auch wieder nur solange die Comps in Vorteil, wie die Drummer das nicht bringen konnten, was die Produzenten wollten: Schnelle perfekte Ergebnisse. Aber auch da haben die Drummer eben aufgeholt und den Vorsprung eingeholt und noch mehr: Für einen Produzenten, der nicht gerade nur mit Drums'bass arbeitet ist es teilweise einfach billiger einen Drummer zu holen, der das ganze in 1 - 2 Takes einspielt, als sich selber mit dem ganzen Programmieren zu stressen bzw. einen zu bezahlen, der das für ihn tut.
    Beste Beispiele sind - als unabhängiger Drummer - Kenny Aronoff, sicherlich kein Technik-Schwein, hat aber für einen bestimmten Stil einfach DEN Mörder-Groove, der ihn nicht arbeitslos werden läßt. Oder als lokales Beispiel: Ralf Gustke. Ausgerechnet bei einer Musik, in der Programming eigentlich an der Tagesordnung ist, zeigt Gustke jedem Computer und jedem Programmierer 'ne lange Nase. Bis irgeneiner seine traumhaften Hihat-Sequenzen einprogrammiert hat, ist Ralf schon in den Urlaub, aus dem Urlaub zurück und hat die nächste Scheibe eingespielt.


    II. Allgemein
    Bleibt eigentlich letzlich nur noch die Frage nach dem Grundsätzlichen: Also Click hin Click her, im kommerziellen Bereich mag es angesagt sein, zum Üben unerläßlich, aber die ganze Sache hat eben auch einen Haken:


    Ich kenn immer mehr Drummer, die nicht richtig grooven. Vor lauter Click-Gebolze haben die offenbar vergessen, eine innere Uhr zu bilden. Ich habe das selbst schon bei Profis gehört oder höre es hier bei lokalen Jazzsessions: Es klingt alles sauber und nett, aber grooven, also so richtig, ne das tuts nicht. Aber wie ich meine zeigt sich da nach wie vor das Talent des Drummers: Ob er einen Groove hat.


    See

    "Pommes/currywurst hat einfach seine eigenen Gesetze."
    (c) by frint / 2008


    "Es macht so viel Spaß, ein Mann zu sein, das können sich Frauen gar nicht
    vorstellen!" (c) by Lippe / 2006

    3 Mal editiert, zuletzt von Seelanne ()

  • Zitat

    Wobei das alte europäische Anti-Groove-Jazzdrumming auch mittlerweile der Vergangenheit angehört. Diese lange Zeit sehr verbreitete seltsame Art von europäischen Jazzdrummern, den Groove aus ihrem Stil zugunsten einer fast schon weinerlichen Vergeistigung zu verbannen, hört man immer seltener


    seelanne, kannst Du mir ein paar Beispiele nennen? Mir ist das selbst noch gar nicht so aufgefallen, würde aber gerne reinhören. (Ausser Du meins die Free-Zeit eines Herrn Hübner, dann ist mir klar, was Du meinst.)


    Sehr guter Beitrag, übrigens!


    Martin.

  • Meint er gar die ECM Frühphase mit dem zumeinst unter „geistlichem“ Einfluß stehendem Jon Christensen?

    Gruss


    miles_smiles


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    ich und so



    Zitat:
    D
    as video beweist eindeutig, dass Thomas auch im Hochgeschwindigkeitsbereich sich nicht verstecken muss und nicht nur perfekte Grooves in Jazzbands vom Stapel lässt!!!

    Einmal editiert, zuletzt von miles_smiles ()

  • Zitat

    Original von miles_smiles
    daß es einen wirklich gefühlten Unterschied macht, ob etwas groovt und das maschinen eben dieses nicht können.


    damit bin ich nicht einverstanden. das was du mit "leben" meinst kann eine maschine nicht, das ist verständlich, aber dass eine maschine nicht grooven kann ist ein typischer satz, den sich drummer (wahrscheinlich aus angst vor den maschinen) immer wieder selbst einzureden versuchen.
    deshalb fand ich auch diesen thread vor jahren so lustig, in welchem sich viele hier gedanken gemacht haben was denn nun zum grooven bringt und um wieviel millisekunden man nach vorne oder hinten spielen muss...
    ich denke, dass ein beispiel reichen sollte: man nehme einen beliebigen hiphop song der letzten jahre bei dem eine maschine den beat spielt (ist bei den meisten platten so, da braucht man nicht lange zu suchen) und dann soll mir mal einer erklären was mehr grooven soll als diese sachen. das bedeutet absolut nicht, dass ich bei den roots nen drumcomputer lieber hätte als ?uestlove oder dass ich irgendwo anders die maschinen den menschen vorziehen würde, aber dass die nicht grooven sollen ist meiner meinung nach einfach nicht wahr.


    zu den drummern der letzten jahre hat seelanne ja schon was gesagt, außerdem hängt ja groove IMMER auch mit timing zusammen; das bedeutet natürlich nicht, dass das klingen muss wie auf klick, oder dass sich nicht zwischen strophe und bridge die geschwindigkeit des songs ändern kann (und copeland wurde ja auch immer schneller und hat trotzdem gegruhft), aber wenn sich zwischen den einzelnen vierteln immer wieder der abstand verschiebt und das nicht gleichmäßig ist, dann eiert das nur rum, dann ist mir jede maschine lieber...

    per i tuoi larghi occhi, per i tuoi larghi occhi chiari...

  • manche musik muss mit klick gespielt werden und manche einfach ohne. das heisst aber nicht dass drummer die live ohne klick spielen schlechter sind oder vielleicht sogar gerade darum mehr grooven als solche die mit klick spielen. im jazz und blues wird man kaum einen nach klick spielen sehn. das schneller und langsamer werden passiert aber auch nicht einfach so, die können das schon kontrollieren und gezielt einsetzen. das setzt dann natürlich ein sehr gutes timing voraus.


    wenn man sich aber auf der anderen seite sachen anschaut wie zb pain of salvation , rush dream theater usw kann man auf keinen fall behaupten dass es sich steril und undynamisch anhört, oder nicht groovtwenn die band nach klick spielt. bei diesen leuten ist es notwendig nach klick zu spielen, da die lichtshow, samples und evtl sogar auch filme die parallel zur musik laufen genau zum timing der musik passen muss. damit kann man einen riesen effekt erzielen und andere künstlerische elemente miteinfließen lassen. und man wird feststellen dass es auf einmal ganz anders wirkt als ein frei gespieltes jazz konzert und dass diese musik trotzdem noch herz und seele hat, unglaublich groovt und einfach genial ist.


    was ich sagen will ist, man kann nicht einfach pauschalisieren ob mit oder ohne klick besser ist. genauso wie jazz der stur nach klick gespielt stumpf wirkt können andere sachen ohne klick nicht funktionieren. auf der anderen seite kann es sich auch schrecklich anhören wenn ein drummer kein timing hat oder nur nach klick spielen kann. es kommt immer drauf an was man draus macht. und ich persönlich schau mir gute jazzkonzerte genau so gern an wie grosse bis ins detail durcjkonstruierte konzerte mit riesen showeffekten usw. es muss halt einfach gut sein :D

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