Tool, Zenith München am 18.11.2006
Zunächst einmal sind es mehrere Umstände, die mir so bei Livekonzerten noch nicht begegnet sind, und welche den Abend schon mal außergewöhnlich beginnen lassen. Dass Wellenbrecher nun schon in Hallen verwendet werden ist die eine (durchaus positive) Sache, gegenüber dem Vorverkauf deutlich verbilligte Abendkassakarten aber die eher ärgerlichere. Und dass 6000 Menschen auf Wunsch der Hauptband nicht die Luft verschmutzen dürfen, freut mich als Nichtraucher durchaus. Gewohnt ist man hingegen aber bei Bands dieser Größenordnung T-Shirt-Preise um die 30 Euro.
Da wir aufgrund einer beherzten Anreise schon relativ früh vor Ort waren, gelangten wir auch ohne Probleme in den Innenbereich des Wellenbrechers, was uns perfekte Sicht und komfortabelste Platzverhältnisse bescherte. Der Beginn eines außergewöhnlichen Abends, denn man muss sich das einmal vorstellen, da spielen Tool einmal im Jahrzehnt in greifbarer Nähe, und dann kommt man in den Genuss, das Ganze auch noch erste Reihe fußfrei genießen zu dürfen, da kann man schon mal eine kleine Freudenträne vergießen.
15 Minuten vor dem offiziellen Beginn legen dann Mastodon bereits los. ich muss zugeben, dass ich vorab nur mal kurz in das aktuelle Album reingehört habe, und eher mit „normalem“ Metal der etwas moderner angehauchten Sorte rechne. Doch weit gefehlt! Die vier Mannen, von denen die drei an den Saiteninstrumenten einem seltsamen Koboldfilm entsprungen zu sein scheinen, walzen mit ihrem progressiven Material alles nieder. Das liegt zum einen an dem exorbitant lauten, extrem undifferenzierten, verwaschenen und basslastigen Sound wie er schlimmer nicht sein könnte (ohne Gehörschutz nicht zu ertragen und definitiv gemeingefährlich), zum anderen aber an einer Musik ohne nennenswerte Zurücknahme und Ruhepassagen. Nein da wird 45 Minuten durchgebolzt, und speziell der Drummer spielt, als ginge es um sein Leben. Da reiht sich Tomfill an Doppelbassgewitter, als gäbe es kein Morgen. Grooves die länger als 15 Sekunden dauern, hört man nicht, somit bleibt als Fazit nur zu sagen: Schön! Schön, dass es vorbei ist, endlich, auch wenn durchaus einige Mastodon-Fans auf ihre Kosten gekommen sein dürften.
Da Tool nun mal Tool ist, wird sogar die Umbaupause zum Erlebnis. Es gibt viel zu bestaunen und zu entdecken, und Roadies mit Überziehschuhen wie sie in Krankenhäusern üblich sind, reihen sich nahtlos in die bereits eingangs erwähnten Überraschungen. Ja, auf dieser ganz in weiß gehaltene Bühne könnte man wohl tatsächlich eine Herztransplantation durchführen, auch wenn die abschließende Reinigung nur mittels Besen, und nicht mit Staubsauger erfolgte. Man könnte auch mutmaßen, ob die Bühnenarbeiter in ihren weißen Arztkitteln wirklich schon die eine oder andere Operation hinter sich haben. An mangelnder stimmungsvoller Beleuchtung würden etwaige chirurgische Eingriffe jedenfalls nicht scheitern. Aber lassen wir das.
Eine Besonderheit im Zenith ist der einsehbare, hoch oben an der Wand gelegene Balkon, den jede Band vom Backstagebereich zur Bühne zurücklegen muss, und somit nicht urplötzlich dort erscheinen kann. Und auch Tool nehmen diesen Weg, fast schon ein wenig banal für dieses extravagante Kollektiv, da hätte ich mit mehr Ideenreichtum beim Erscheinen gerechnet. Jedenfalls werden Tool ab diesem Moment gefeiert, selbst die diesmalige Verkleidung von Herrn Keenan tut dem keinen Abbruch, selbst wenn die Gummiatemschutzmaske mit eingebautem Mikrofon eher belustigend wirkt.
Eröffnet wird das Konzert mit 2 Songs vom Überalbum Ænima. Da ich mir die Songtitel von Tool bis auf einige Ausnahmen nicht merken kann, spare ich mir hier eine genaue Auflistung. Nur eines ist ab dem ersten Ton klar. War der Sound bei Mastodon unter aller Sau, so ist bei Tool das genaue Gegenteil der Fall: Glasklar, verträglich laut und unfassbar perfekt. Jede noch so kleine Note ist zu hören, fantastisch. Da lässt es sich auch vor den 8 Subwoofern aushalten, die zuvor bei einigen Zuschauern noch für abführende Wirkung gesorgt haben dürften. Nachdem der erste Song verklingt, sehen wir 4 Kollegen uns an, und können es nicht fassen, was da gerade passiert ist. Ein Jubelsturm bricht los und mit den folgenden Songs wird man immer mehr in das hineingerissen, was ich als das seltsamste, schönste, abgefahrenste und zugleich auch intimste Konzert meines Lebens bezeichnen würde. Irgendwann vergisst du ganz einfach, dass da noch tausende andere Leute anwesend sind, denn Tool spielen heute nur für dich. Du wirst hineingezogen in eine Gefühlswelt aus gleißendem Licht, fortwährenden Projektionen, sich kaum bewegenden Musikern sowie seltsamen, von der Bühne ausströmenden Gerüchen.
Das ganze Konzert ist ein einziges Kunstwerk, was ich so noch nicht erlebt habe. Am ehesten könnte dieser Perfektionismus vielleicht noch mit Pink Floyd und ihrer monströsen Tour verglichen werden, wobei dort aber die Musik nicht so über allem getrohnt hat. Denn bei PF stand der Bombast im Vordergrund, musikalisch anspruchsvoll umzusetzen war der ganze Pop wohl um ein vielfaches einfacher als bei Tool. Denn Jones, Carey, Chancellor und Keenan spielen einfach nur perfekt. Ich kann mir nicht vorstellen, wo hier vom Zusammenspiel noch Verbesserungen möglich sein sollen. Jeder Stopp wird zu einer Machtdemonstration und jeder Einsatz danach zu einem Erdbeben. Unfassbar. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann vielleicht, dass Maynard sich manchmal hörbar schwer tut, unter seiner Maske zu singen.
Die Songauswahl reicht über alle Erfolgsalben, wobei wie zu Erwarten das Hauptaugenmerk auf 10.000 Days liegt. Persönliche Highlights sind Sober, und das zentral angelegte Epos „Wings of Marie“ – „10.000 Days“, welches durch die optische Aufwertung mittels fulminanter Lasershow einiges an Reiz gewinnt und im Vergleich zum Album keine Längen erfährt. Wie überhaupt die ganze Show viel zu schnell vergeht. Wo man bei anderen Bands mal verstohlen auf die Uhr blickt, so kündigen Tool bereits den letzten Song an. „Ænema“ wird dann zu einem einzigen fulminanten letzten Höhepunkt und nach verklingen des abschließenden Tones ist auch bei den Herrn Young und Keenan so etwas wie eine Gefühlsregung zu erkennen. Ja, es scheint auch ihnen Spaß gemach zu haben. So wie geschätzten 6000 anderen Anwesenden auch. Die Massen jubeln, ca. 2 Stunden sind um und der Abgang über oben erwähnte Galerie gerät zu einem einzigen Triumphzug. Dass niemand auch nur einen Gedanken an eine Zugabe verschwendet passt ins Bild eines außergewöhnlichen Abends.
Genauso wie dies: Vor dem Abgang von der Bühne werfen die Musiker noch Getränke und ihre Souvenirs ins Publikum. Herrn Carey´s Drumstick fliegt in meine Richtung, mein Kollege und noch ein Beteiligter liegen am Boden und suchen ihn. Vergeblich, ich steh daneben und grins mir einen. Jetzt muss ich nur noch überlegen, was ich damit mache. Vielleicht mit der Konzertkarte einrahmen und als Andenken über das Bett hängen. Und ich dachte aus dem Alter wäre ich raus.
Edith: RSF zumindest eingeschränkt.