Über den Sinn und Unsinn von CD-Reviews

  • Hallo,


    Ich hatte gestern Abend mal etwas Zeit mich wieder auf den neusten Stand in sachen Neuerscheinungen zu bringen. Dafür nutze ich meistens diese Seiten:


    http://www.allmusic.com
    http://www.laut.de
    http://www.cdstarts.de


    Allerdings NUR um zu wissen was denn eigentlich neu auf dem Markt ist und in welche Richtung sich welche Band mit ihrem neuen Album entwickelt hat. Diese unnützen Schulnoten/Sterne/Punkte Wertungen lasse ich grundsätzlich möglichst außer Acht - nur ist das leider nicht so einfach wie es klingt. Das Unterbewusstsein bildet sich trotzdem eine Meinung wenn irgendwo am Rand sehr viele oder wenige Sternchen blinken... -leider! Und genau bei dieser Punktewertung liegt meiner Meinung nach das Problem:


    Viele lesen im Internet, in Zeitschriften oder sonstwo eine gute/schlechte Review und entscheiden dann sich eine Scheibe zu kaufen oder eben nicht. Aber dass die Reviewer auch nur Menschen sind, die sich (wenn auch unterbewusst) vor allem auf ihren persönlichen Geschmack berufen, daran denken die meisten nicht. Und das ist finde ich ein riesen Problem. Somit machen die großen Rewiev-Firmen meiner Meinung nach erheblich das Geschäft kaputt. Wenn Herr XY von der Seite xyz-kritik.de mal einen schlechten Tag hat und eine Scheibe deswegen zu Grunde kritisiert, die das eigentlich garnicht verdient hat, dann greifen viele große Print-Magazine trotzdem auf sein Review-Angebot zu (denn da liegt ja der Sinn solcher Review-Firmen) und schwubs wird überall geschrieben das Album wäre der letzte Müll und das scheitern der Platte ist (zumindest in dem Land für das die Firma xyz-kritik.de schreibt) vorprogrammiert - nur weil der Herr XY von xyz-kritik.de nen schlechten Tag hatte als er die CD bewertet hat!


    Da frage ich mich immer wieder:
    Muss diese blöde Schulnotenkritik denn sein? Und welcher einzelne Mensch hat denn eigentlich das Recht beim ein-zweimaligen Durchlauf einer Platte zu entscheiden ob die ganze Jahresarbeit eine Band nun gut oder schlecht ist? Das KANN eigentlich niemand! Manche wird die Platte total ansprechen - andere werden sie hassen. So ist das immer. Es gibt einfach keine "gute" oder "schlechte" Platte - Musik ist Geschmackssache und wird das auch immer bleiben. Wieso kapieren das diese Reviewer nicht?


    Hier mal zwei Beispiele die zeigen wie bodenlos die Bewertungen wirklich sind:


    Pink - I'm Not Dead:
    Frau Lütz von laut.de ist sich sicher: Das ist "Der Gipfel der Gefühlsduselei" und "ziemlich nervtötend" - miserable 2/5 Punkten. Doch während Herr Reichel von cdstarts.de scheinbar etwas unschlüssig noch ziemlich gute 7/10 Punkten vergibt, meint Herr Erlewine von allmusic.com zu wissen, dass "I'm Not Dead" das mit Abstand beste Album ist das Pink bisher auf den Markt geworfen hat und klar ist sowieso: "there are few pop musicians more exciting in the 2000s than Pink." - fast untopbare 4,5/5 Sternen!


    Red Hot Chili Peppers - Stadium Arcadium:
    laut.de und cdstarts.de sind sich einig: Ein Meisterwerk! Herr Dobler von laut.de tönt ungehalten "Das beste Album seit Frusciantes Rückkehr" und schreibt völlig begeistert das Album "enthält keinen einzigen schlechten Track" (und das sind immerhin 28!) - 5/5 Punkte, besser geht nicht! Der gleichen Meinung ist Herr Ranner von cdstarts.de: Denn was die Chili Peppers hier "in diesen 28 Songs aus dem Hut zaubern ist schlicht und ergreifend das Produkt einer Band, die ihren musischen und kreativen Höhepunkt erreicht hat und allem Anschein nach auch länger auf diesem Gipfel verweilen wird." - heiligenscheinträchtige 10/10 Punkte (!!!). Etwas anders sieht Herr Erlewine von allmusic.com die Sache diesmal - Da er scheinbar eher auf Pink abfährt ist er der Meinung "there needs to be something to break up the monotony" und vergibt zunächst absolut miserable 2,5/5 Sternen - später wird die Wertung wohl von einem Kollegen auf 3,5/5 Sternen angehoben...


    An dieser Stelle breche ich mal ab - ich könnte noch unzählige weitere solche Beispiele aufzählen die alle aufs gleiche hinauslaufen: Punktewertungen für Musik sind imho nicht nur schwachsinnig sondern auch unnötig!


    Amen

    2 Mal editiert, zuletzt von donstevano ()

  • Da fällt mir spontan ein schlauer Spruch einer Band namens "But alive..." ein:


    Über Musik schreiben ist wie tanzen zu Architektur.



    :]

    Never argue with an idiot - He will drag you down to his level and beat you with experience.

  • Naja, mein Gott, klar ist alles relativ. Gut, dass es aber auch Leute gibt, die das eben noch durchschauen! ;)
    Ich persönlich lese Kritiken meist auch, um mich über Neues zu informieren: Welche Besetzung, welche Richtung geht die Scheibe (z.B. softer/härter, mehr Mainstream oder abgedreht, Einsatz von synthetischen Klangerzeugern etc.). Die persönliche Meinung lässt mich natürlich auch nicht kalt. Wenn das steht "nix Neues" klingt das eben mies. Bei Motörhead wurde das jüngst anders, eben positiv formuliert, nach dem Motto, die machen das, was sie seit Jahren am besten können usw.
    Letztenendes muss man sich eh mal reinhören und eine eigene Meinung "bilden".
    Aber ich lese auch so Konsumerkritik nicht so gern. Dann lieber in Musikerzeitschriften wie D&P und G&B, wenngleich die natürlich nicht das Maß der Dinge sind. Aber wenigstens nicht so "hip" im negativen Sinne.

    BORIS.

  • Zitat

    Original von DirkGently
    Da fällt mir spontan ein schlauer Spruch einer Band namens "But alive..." ein:


    Über Musik schreiben ist wie tanzen zu Architektur.


    Bitte diese Spruch noch einmal zu recherchieren! "But Alive..." in allen Ehren, aber da rotiert im Moment gerade jemand heftigst im Grabe...

  • nd.m


    So wie es aussieht weißt du mehr als ich.
    Ich hab das nochmal überprüft und mir ist da wohl ein kleiner Verdreher reingerutscht.
    Die Passage von "But alive" lautet:


    ...
    Über Musik schreiben ist wie
    zu Architektur tanzen.
    ...
    (But Alive, Ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später)


    Falls es das nicht war nd.m, dann musst du mich aufklären.

    Never argue with an idiot - He will drag you down to his level and beat you with experience.

  • Zitat:
    "Über Musik schreiben, sagte der Popstar Elvis Costello einmal in einem Interview, ist wie zu Architektur tanzen."Quelle


    Wer hat es denn nun gesagt?


    Threadstarter, entschuldige bitte mein OT.


    Edit:
    doch noch ontopic:
    CD-Kritiken sind wohl auch immer zielgruppenabhängig. Ich kenne genannte
    Quellen nur teilweise. Dass das Sophisticated Rock Magazine P!nk im Gegensatz
    zur Bravo nicht die volle Punktzahl gibt, erklärt sich ja von selbst.
    Vielleicht ein Extrembeispiel, sorry, aber es ist wohl klar, was ich meine....


    Das Argument "aber Sophisticated Rock Magazine würde P!nk doch sowieso
    gar nicht rezensieren" lasse ich hier mal nicht gelten...stimmt aber vermutlich....

  • CD Rezensionen machen für mich fast nur Sinn, wenn ich denn Musikschmack des Rezensenten einschätzen kann. In meiner favorisierten Musikzeitschrift lassen sich die "Noten" also durchaus für meine Zwecke deuten.


    Dass da dann mal was aus der Art schlägt ist aber auch klar. Und bei Online Rezensionen ist es wie mit vielem im Internet, man muss schon zu selektieren wissen. Ist doch klar, dass Du da selbst zu Deinem absoluten Lieblingsalbum haufenweise vernichtende Kritiken finden wirst.

    pbu: Ja, bei mir wurde bereits in früher Kindheit ein sog. Sixpack-Bauch diagnostiziert.
    Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und komme mir inzwischen gar nicht mehr so anders vor.
    Dazu beigetragen hat auch, dass ich mir über die Muskeln eine Fettschicht wachsen lassen habe.

  • Die Frage ist doch letztendlich, geht man von einem mündigen Konsumenten aus oder nicht. Ein solcher ist in der Lage, nicht nur verschiedene Kritiken miteinander zu vergleichen (was das Gewicht jeder einzelnen relativiert, wie Du sehr anschaulich dargestellt hast), sondern auch, und das ist noch viel wichtiger, denn nur so ist eine Kritik letztendlich nur zu verstehen, den Kritiker selbst als Gütefaktor in Relation zu seinen Aussagen zu setzen (wenn ich weiss, das Kritiker x mehr auf Prog steht, brauche ich seine Review zur neuesten Knüppelrockscheibe gar nicht erst zu lesen).


    Ich sage, die meisten Leute, die Kritiken interessiert lesen und ggf. zu einer Kaufentscheidung heranziehen, sind dazu in der Lage. Zudem mal angedacht: wieviel Beitrag leistet eine Kritik i.d.R. zur Kaufentscheidung? Letzten Endes geben doch persönliche Kritiken aus unserem Freundes und Bekanntenkreis, die Single-Auskopplung im Rundfunk (sofern es eine gibt) und das Reinhören im Laden den viel größeren Ausschlag.


    Ich bezweifel, dass eine schlechte Kritik alleine die Verkaufszahlen signifikant beeinflusst. Wenn es derer mehrere gibt (bzw. sie in der Überzahl sind), so ist das Vorhandenseins eines triftigen Grundes nicht so ganz unwahrscheinlich, es sei denn, man bemüht den Bereich der Verschwörungstheorie...


    Um die Frage ganz konkret zu beantworten: Kritiken machen Sinn, wenn man sie einzuordnen weiss.


    Gruß
    Alex

    "Ich verlor bisher Filze, Sticks und einen Bassisten. Weiß der Geier was man damit will."
    Barumo, 2008

  • Bei CDs halte ich das "Problem" der schlechten Publicity noch für am unschädlichsten, da doch heutzutage jeder vorher mal reinhören kann oder die meisten sich sowieso nur das Zeug kaufen, von dem sie wissen, dass sie es gut finden. Ansonsten "kann man ja runterladen".
    Insofern geht wohl von CD-Rezensionen kaum eine signifikante Marktlenkung/-kontrolle aus. Erstrecht nicht bei etablierten Künstlern.
    In der Literatur ist/war das viel "schlimmer", weil Marcel da einfach allen gesagt hat, was Scheiße ist und was nicht.
    Gibt es einen CD-Papst?



    http://www.babyblaue-seiten.de/

    Ordugele muss sein.

  • Zitat

    Original von donstevano
    Muss diese blöde Schulnotenkritik denn sein?


    Jede Zeitschrift - auch jedes Online-Magazin - die künstlerische Produkte mit Schulnoten, Ohren, Daumen oder was weiß ich bewertet, diskreditiert sich im Grunde selbst. So etwas kann man nicht und sollte man auch nicht Ernst nehmen. Zu dieser Erkenntnis kommt eigentlich jeder vernünftige Mensch dann und wann und zwar genau zu dem Zeitpunkt, wenn genau die CD, die man seit Wochen mit wachsendem Vergnügen im Auto vor sich hin dudelt, in einem Review der Lieblingszeitschrift verrissen wird.


    Autoren sollten sich sollte Sachen wirklich sparen und stattdessen leidenschaftliche, aber persönliche Standpunkte abgeben und diese auch so kennzeichnen. Guter Journalismus zeichnet sich darüber hinaus auch dadurch aus, daß man bei neuem SOngmaterial Herkunft und Wurzeln erörtert, gleichartige Alben aufführt und damit den Gesamtkontext herstellt. So lernt der geneigte Leser wenigstens was dazu. Darüber hinaus kann man durchaus bewerten in dem man herausstellt, daß irgendeine CD der siebundzierzigste Aufguß derselben Idee ist oder sogar einfach nur Cover-Versionen von Songs beinhaltet, welche die jüngere Generation fälschlicherweise als neu ansieht. Ein guter Journalist bewertet treffend ohne zu benoten. Solchen Leuten verzeiht man auch, wenn Sie nicht die eigene Meinung vertreten ;) .


    <Fatalismus-Modus ein>
    Aber wer interssiert sich schon für guten Journalismus?
    <Fatalismus-Modus aus>


    Wenn Schulnoten, dann maximal für Preis/Leistung, Audio-Qualität, Ausstattung und sonstige, noch halbwegs neutral feststellbare Kriterien. Obwohl auch da schnell der Unsinn beginnt... da muß man vorher einen Kriterienkatalog bekanntgeben.

  • Für unser neues Album haben wir um die 30 Reviews bisher bekommen. Was mir dabei auffällt: Viele dieser Underground-Online-Zines bestehen wahrscheinlich aus einer Person und existieren nur, damit diese Person weiterhin mit Gratis-Promos bemustert wird - um dann noch weitere belanglose, sprachlich oft haarsträubende Ergüsse loszulassen. Unter diesen Reviews findet man einige, die in Aufsatz Klasse 10 nicht über eine 4 hinausgekommen wären und von köstlichen Stilblüten, Halbwissen und schlichtweg falschen Behauptungen nur so strotzen.


    Dennoch: Der mündige Leser kann hier die Spreu vom Weizen unterscheiden. Relevant sind eh nur Rezensionen von halbwegs bekannten Zines oder Printmagazinen - und diese sind für eine kleine Underground-Band lebenswichtig, um ein bisschen Publicity zu kriegen. Trotzdem ist auch der letzte sprachliche Müll auf unserer HP noch einzusehen, wen's interessiert: Siehe unten.


    In der Sparte "Metal-Print-Magazine" sind wir insgesamt gut weggekommen, während uns das eine Springer-"Metal"-Magazin zwar nicht mehr komplett ignoriert wie früher, die neue Scheibe aber dennoch nicht in den Soundcheck mit reingenommen hat. Als einzige. Bei diesem Magazin hat unser Label auch keine Anzeige geschaltet. Soviel dazu.


    Insgesamt sind Rezensionen wohl ein notwendiges Übel. Ich wäre zu gerne Rezensionen-Rezensent. Über so manches ließen sich vernichtende Kommentare schreiben.

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