Natürliche Affinität zum Schlagzeug
Andy Pilger gehört seit 17 Jahren zur Erstbesetzung des Starlight Express in Bochum. Doch neben diesem erstaunlichen langen Engagement ist er auch anderweitig aktiv.
Er ist z.B. Mitveranstalter der Konzert Reihe "Viersen-live" (http://www.viersen-live.de) in der Viersener Festhalle. Dort hatte Die_Happy die Gelegenheit, ihm die bekannten Fragen zu stellen.
Vielen Dank an Die_Happy und Andy Pilger für dieses interessante Interview.
DF: Wann ging es los mit dem Schlagzeug?
AP:Ich habe mein erstes Schlagzeug mit 10 bekommen und auch direkt meinen ersten Unterricht, damals bei dem Drummer der Tanzband meines Vaters. Er hat mir die ersten Grundrhythmen wie ChaCha, Rumba, Foxtrott, langsamer Walzer und die Grundtanzmusikgrooves beigebracht. Vorher hab ich allerdings schon Klavier und Akkordeon gespielt und bin so als 5/6 jähriger schon im Akkordeon-Orchester meiner Mutter als Perkussionist aufgetreten. Ich habe aber vorher schon mit irgendwelchen Stöcken überall drauf rum gehauen. Es gibt Fotos auf meiner Website (http://www.andypilger.de), auf denen ich mit meinem von Dash-„ endorsten“ -Schlagzeug“ zusehen bin, das muss so mit 7 gewesen sein.
DF: Warum gerade dieses Instrument, was bedeutet es für dich?
AP: Warum ich dieses Instrument ausgewählt habe, kann ich gar nicht genau sagen. Ich habe ja vorher schon Klavier und Akkordeon gespielt, auch mit dem dezenten Druck meiner Eltern, die mich, da sie beide in der Branche tätig waren, natürlich fördern wollten. Aber ich war irgendwie ein wenig zu faul und zu verspielt um richtig dran zu ziehen. Als es meine Eltern schon fast aufgegeben hatten, kaufte mir mein Vater endlich mit 9 Jahren eine Snare und von da an war ich nach der Schule nur noch in unserem Keller zugange. Ich würde sagen, dass es eine natürliche Affinität zum Instrument war. Seitdem gab es kaum einen Tag an dem ich nicht die Stöcke in der Hand hatte. Mein Hobby ist mein Beruf geworden, und ich habe mich lange Zeit immer nur fürs Schlagzeug spielen bzw. Musik interessiert. Also kann man schon sagen, dass das ALLES für mich bedeutet.
DF: Ab wann professionell? Was sind die Vorteile und die Nachteile des "Jobs"?
AP: Ab ungefähr 16/17 Jahren, weil, wie gesagt, mein Vater Tanzmusiker war und der hat mich irgendwann, als ich vernünftig spielen konnte ,so ein bisschen mitgenommen auf die Tanzabende. Es kam dann die Zeit, in der immer öfter Trios oder Duos unterwegs waren auf Hochzeiten, d.h. Orgel und Schlagzeug. Ich habe dann halt mit meinem Papa zusammen schon Musik gemacht. Wir hatten nur ein Auto, weil ich ja noch keinen Führerschein hatte, d.h. er musste immer zweimal hin und her fahren, einmal sich und die Orgel und dann mich mit meinem Schlagzeug holen. Wir haben dann auf Hochzeiten und Partys gespielt.
Der Vorteil ist natürlich, dass man morgens nicht um halb acht aufstehen MUSS!
Der Nachteil ist, dass man nie vor 3 Uhr im Bett ist.
Ein weiterer Vorteil ist, dass man natürlich einen Job hat, und das ist eines der wichtigsten Dinge im Leben, einen Job, der einem Spaß macht.
Ich habe das immer als normal angesehen, weil ich mein Leben lang Schlagzeug gespielt habe und sehr früh sehr weit gekommen bin. Ich habe immer professionell Musik gemacht und auch sehr früh sehr viel Geld damit verdient. Ich habe dann erst viel später festgestellt, wie viele Leute das versucht haben und das gar nicht geschafft haben. Wie viele Leute mit Hobbybands am Wochenende spielen, aber nicht wirklich davon leben können. Das ist mir erst viel später bewusst geworden. Ich dachte immer, alle würden den Job ausüben, der ihnen Spaß macht. Heute steht fest, dass es nur 0,5 Prozent sind, die wirklich eine Job machen, der ihnen Spaß macht. Insofern ist das natürlich ein Supervorteil.
Der Nachteil heißt für mich, dass man z.B. in einem Ölfass immer im Kreis schwimmt, weil man ja den ganzen Tag nur mit Musik zu tun hat, auch nichts anderes kann, als Musik zu machen und auch nichts anderes machen will und natürlich dadurch schon so einen Tunnelblick hat. Man ist manchmal für die alltäglichen Dinge des Lebens nicht wirklich offen. Ein weiterer Nachteil ist, wenn du älter wirst, dass du natürlich viel reisen musst. Wenn man in einem größeren Verein spielt, wird halt gereist, Hamburg, München, Berlin, Dresden, das ist natürlich mit einer Familie schwer zu vereinbaren und mit Privatleben für mich war es auch immer schwierig. Ich habe jetzt mit 43 seit 2 Jahren endlich mal eine vernünftige Beziehung und davor sind fast immer alle Beziehungen daran gescheitert, dass ich nicht gewillt war, in irgendeiner Form Kompromisse im Berufsleben einzugehen, weil z.B. meine Freundin eine andere Vorstellung von Leben hatte. Also, der Job ist nicht unbedingt beziehungsförderlich und man ist viel unterwegs und man muss ein bisschen aufpassen, dass man nicht unter die Räder gerät, wenn man zuviel unterwegs ist. Man muss „grounded“ sein, wie die Amerikaner sagen.
Für mich ist es so, dass durch Computer, DJs und ähnliches die Musikszene sich gewandelt hat. D.h. wenn du viel Geld mit Musik verdienen willst, darfst du kein Instrument mehr spielen. Die Manager und einzelne Sänger machen das Geld. Wenn du als reiner Drummer heutzutage nur Schlagzeug spielen kannst, ist es viel schwerer geworden vernünftig davon zu leben. Natürlich kannst du immer 5 Gigs im Monat für 100 Euro spielen. Aber davon kann man die Wohnung nicht bezahlen und keine Familie ernähren. Das finde ich heutzutage einen großen Nachteil des Jobs. Heute musst du sehr viel arbeiten um entsprechend Geld zu verdienen wie ein Angestellter irgendwo. Ganz entscheidend ist auch, dass du häufig auch die Musik spielen musst, die nicht deine eigene ist. Wenn ich kommerzieller Mucker bin, spiele ich in einer Coverband, ich spiel mit Heino oder sonst wem. Die jungen Kids von heute fangen natürlich mit Musik an. weil sie ihre Musik spielen wollen und das geht nicht, wenn man es zum Beruf macht. Die Chance eine Million im Lotto zu gewinnen ist größer, als als Schlagzeuger in einer Top 5 Band zu arbeiten. Oder, als anderes Beispiel, so hoch zukommen wie Charlie Watts oder Ringo Starr und auch dort zu bleiben. Wenn einer das im Kopf hat empfehle ich doch lieber Lotto zu spielen. Klingt jetzt ein bisschen böse, sehe ich aber so.
DF: Wie siehst du die Funktion / Rolle des Drummers innerhalb einer Band / eines Projektes?
AP: Es kommt natürlich auf die Band oder des Projektes an. Natürlich der alte Satz in einer normalen Band: „Time, Time, Time, wenn man ein schönes Fill spielen kann schön, wenn nicht weglassen!“
Ich persönlich bin jemand, der gerne Schlagzeugsolos spielt, leider sind das immer nur kurze Momente bei diesen Bandauftritten, in denen ich das tun kann. 99% sind Time. Habe ich lange Zeit auch nicht verstanden. Im Proberaum bin ich auch immer schwer damit beschäftigt rum zu ballern. Ich schaue mir natürlich, wie jeder andere Drummer, die DVDs und Videos von Buddy Rich, Virgil Donati usw. an. Aber im Endeffekt muss ich mich, wie auch heute, immer wieder zurücknehmen, „Nein, spiel jetzt keinen Fill, spiel Time.“ Das sehe ich immer noch als Hauptrolle eines Drummers an, um einen guten Groove zu produzieren.
DF: Wie wichtig ist die zwischenmenschliche Kommunikation?
AP: Wenn ich jetzt böse wäre würde ich sagen, 80% zwischenmenschliche Kommunikation, 20% Schlagzeug spielen. Klingt jetzt ein bisschen blöde, vielleicht kann man auch sagen fifty-fifty. Aber in der Branche, in der Geld verdient wird, ist es mindestens genauso wichtig, was du für ein Typ bist, als wie gut du spielst. Denn ab einer gewissen professionellen Berufsbasis kann jeder Schlagzeug spielen. Da reden wir nicht mehr über Leute, die eiern, über Leute, die nicht mit dem Klick spielen können, über Leute, die nicht grooven. Wir reden in der professionellen Branche nur über Leute, die sehr gut spielen können. Das ist immer eine Eliteauswahl, die Berufsmusiker auf Dauer werden. Dann macht es nur noch aus, ob du stilistisch spielst, ob du ein netter Typ bist, ob du pünktlich bist, ob du gepflegt bist und dann vor allem zwischenmenschlich. Ob du mit den Leuten klarkommst, ob du geben und nehmen kannst und natürlich auch ein netter Kerl im Tourbus bist. Weil etwa 90% der Tour findet dort statt, nur der Rest auf der Bühne.
Ich kenne viele Leute in meiner Branche, also Musical, Gala Bereich, die nicht die besten Schlagzeuger sind und trotzdem die meisten Jobs an Land ziehen. Anderseits gibt es die Drummer, bei denen ich sage:„WOW, geiler Typ!“ Die sitzen aber zu Hause und haben komischerweise gar nicht soviel zu tun. Deshalb glaube ich, dass der zwischenmenschliche Aspekt auf Dauer der Wichtigere ist. Wichtiger, als das, was du kannst.
DF: Wie siehst du die Zukunft der Musikindustrie und was bedeutet dabei das Medium Internet?
AP: Ich hoffe, dass die Musikindustrie von dem derzeitigen Trend wieder weg kommt. Weil ich Jazz mag, dass ist eine Musik die immer weniger wird, die Bigband, die fast ausgestorben ist, obwohl sie durch Robbie Williams wieder ein bisschen angeschoben worden. Das ist allerdings nur für die großen Top 3. Für alle anderen Hobbybigbands sieht es eher schlecht aus.
Der Trend ist, dass die Leute Musik aus der Konserve haben wollen. Dass Leute Musik aus dem Internet umsonst runterladen können, ist für den Berufsmusiker schön und auch besser, weil du schneller an Informationen kommst, aber für den Verkauf der Musik ist es scheiße! Wenn die Leute kein Geld mehr für Musik bezahlen und alles umsonst haben wollen und bei Livegigs nur bei Robbie Williams 100 Euro für eine Karte bezahlen, dafür alle anderen Bands am liebsten gar nichts oder nur 5 Euro geben, ist es für Berufsmusiker natürlich schwierig geworden.
Heute ist natürlich viel Playback, da die Optik auf der Bühne wichtiger ist als die Musik. Schau dir mal Top of the Pops oder MTV an, da wird nicht mehr Musik sondern Image verkauft. Das ist ein Problem für Berufsmusiker, weil nicht jeder Drummer aussieht wie ein Fotomodell. Es ist einfacher einem Fotomodell Schlagzeug beizubringen, als einem Schlagzeuger eine Gesichtsoperation unterziehen zu lassen.
Viele Coverbands, die früher Hochzeiten gespielt haben, sind arbeitslos, weil da ein Keyboarder steht mit Midifiles oder ein Duo, aber keine richtige Liveband. Diese Duos sind natürlich billiger ist als eine ganze Band. Für die geldverdienende Branche ist so was natürlich schlecht.
DF: Den Tipp für das DF bzw. junge Schlagzeuger?
AP: Ich habe nie wirklich Schlagzeug unterrichtet, weil ich immer vom Spielen gelebt. Wenn jemand an mich herangetreten ist, habe ich immer gesagt: „Du musst üben, üben, üben". Das Niveau des Trommelns ist in den letzten 20 Jahren raketenartig nach oben gegangen. Zum Beispiel Virgil Donati oder Thomas Lang, die machen Sachen den mit den Füßen, da kann ich noch nicht mal mit den Händen mithalten. Das technische Niveau ist sehr hoch und du musst auf diesem technischen Niveau mit dabei sein. Du musst sehr technisch fit sein um in die Bundesliga rein zukommen. Dasselbe gilt auch für Groove und Time. Du musst mit Klicktrack, Drummachines und Loops arbeiten können. Ich glaube, dass, wenn du als Berufsmusiker auf Dauer im Geschäft sein willst, Schlagzeug spielen allein, so wie ich es noch gemacht habe, sehr schwierig wird. Es ist besser, wenn du singen, ein bisschen tanzen, Perkussion spielen kannst und zu dem auch noch Fit mit einem Laptop und Logic bist, sprich im Producing/Composing Bereich, wirst du auf jeden Fall mehr Chancen haben. Unterrichten ist dann also auch ein Muss. Die meisten Typen, die ich kenne, unterrichten alle. Du musst dir mehr Standbeine aufbauen um berufsmäßig in den nächsten Jahren überleben zu können. Nicht nur trommeln, sondern auch Musicbusiness, Producing also ähnlich wie es in Amerika in den Schulen angeboten wird. Dort gibt es Workshops für Logic, für DJs, Producing usw.
Aber es bleibt beim üben, üben, üben. Es reicht nicht, sich in den Proberaum einzuschließen. Du musst rausgehen und möglichst viel spielen, für kleines Geld oder umsonst und den Leuten zeigen, was du für ein Produkt hast. Genauso, wie ein Obsthändler seine Bananen rausstellt. Es nutzt ihm nichts, wenn sie im Kühlhaus liegen.