Prof. José J. Cortijo - Der Musiker ansich ist wichtiger als seine Ausrüstung

  • Perkussion spielen und lehren
    Der gebürtige Spanier ist bisher der einzige Professor für Perkussion in Deutschland. In Mainz-Kastel nahm er auf der Wahan-Couch Platz für ein kurzweiliges Interview. Prof. José J. Cortijo nimmt nämlich keinen Blatt vor dem Mund und hat zu verschiedenen Themen eine fundierte Meinung. Aber er ist auch ein angenehmer Gesprächspartner, der locker und mit Humor Fragen beantwortet und viel aus seinem abwechslungsreichen Leben zu erzählen weiß. Vielen Dank an ihn und an Wahan.



    DF: Seit wann spielst du Perkussion und warum gerade dieses Instrument? Wie sieht es mit dem Schlagzeug aus?


    JC: Ich habe mit 15 Jahren angefangen. Ich kann an den Drums Latin-Rythmen spielen, aber mein Hauptinstrument und meine Hauptleidenschaft ist Perkussion. Ich bin Baujahr 1958, also mache ich das schon eine Weile.
    Es war reiner Zufall, eigentlich wollte ich Orgel lernen. Das Problem war, dass es damals noch keine billigen Keyboards oder gar Computer gab. So eine Farfisa- oder Hammondorgel war recht teuer und meine Eltern hatten das Geld einfach nicht. Ich bin dann mit einer Melodika vertröstet worden und habe mich dann später getraut, zu der Probe einer Schulband zu gehen. In dieser Band gab es einen Organisten sowie Gitarristen mit Verstärkern. Da kam ich nun an mit meiner Melodika und kam natürlich nicht gegen diese Instrumente an.
    Meine Oma hat mir zum Geburtstag eine Platte von Santana geschenkt. Ich habe nie herausbekommen, warum sie mir die Platte geschenkt hat da sie nicht an diese Musik interessiert war. Das war die Initialzündung. Ich hörte dort die Perkussion und bekam eine Gänsehaut. Ab diesen Moment wollte ich dann Perkussion spielen. Mein Vater kaufte mir dann eine Conga, die billiger als eine Orgel war. Mit dieser Conga konnte dann in der Schulband mitspielen. Ich musste mir alles selber beibringen, denn es gab keine Bücher, Videos oder gar Noten aus dem Internet.


    DF: Seit wann kannst du davon leben?


    JC: Ich habe Technischer Zeichner gelernt und in einem Ingenieur-Büro gearbeitet und nebenbei immer Musik gemacht. Mein Traum war es, von der Musik leben zu können und es war klar, wenn ich eine Chance dazu hätte, dann würde ich sie nutzen. Ich konnte dann zu einem kubanischen Perkussionisten Kontakt aufnehmen, der nach Barcelona immigriert war. Er gab mir ein paar Stunden Unterricht, den einzigen, den ich jemals hatte.


    DF: Wie ging es dann weiter?


    JC: Ich nahm mit verschiedenen Bands Platten auf. Hauptsächlich spielte ich aber mit einem Gitarristen, den ich damals durch die Schulband kennenlernte. Er ist übrigens heute noch in Spanien als Musiker und Produzent aktiv. Mit ihm hatte ich eine kleine Band und aus Jux haben wir uns für einen Talentwettbewerb angemeldet. Dann hatten wir leider das Pech, das wir gewonnen haben. Der Preis war nicht ohne: Ein Halbjahresvertrag auf Ibiza. Wir mussten uns also entscheiden ins kalte Wasser zu springen oder unsere Jobs, die wir alle hatten, zu behalten. Wir riskierten es und so landeten wir auf der Ferieninsel und spielten Covers (Top 40) und auch eigene Stücke jeden Tag in Hotels, Bars und Clubs. Das war 1981. Aus dem halben Jahr wurden für mich zwei, wir spielten wirklich fast jeden Tag, denn wenn wir nicht spielten, gab es kein Geld.


    DF: Wie entwickelte sich deine Musikerkarriere dann in Richtung Unterricht?


    JC: Das war natürlich nicht geplant und es hat sich alles so ergeben. Wir hatten eine Einladung nach Deutschland und so verließ ich nach zwei Jahren Ibiza. Mit einer spanischen Band ging es ins Ausland, das war nicht selbstverständlich damals. Dann lernte der Drummer eine Deutsche kennen und sie lud uns nach Berlin ein. So landete ich Ende November 1982 in der damals noch geteilten Stadt. Es war ein Schock für mich, denn es war sehr kalt und wir hatten in Barcelona noch nie Schnee gehabt. Ich knüpfte Kontakte und spielte in verschiedenen Bands, zunächst als Gastmusiker. Allmählich merkte ich, dass ich in Deutschland etwas machen konnte, was so in Spanien nicht möglich war.



    DF: Wie lebtest Du?


    JC: Ich wohnte bei einem Studenten, dem ich Spanisch- und Perkussion-Unterricht gab. Das war aber alles andere als Luxus, ich schlief nicht in einem Bett sondern auf einer Matratze auf dem Boden. Ich musste mich durbeißen, denn ich hatte nicht mehr genug Geld, um das Auto vollzutanken und nach Spanien zurück zu kehren. Ich verkaufte sogar ein Teil meiner Instrumente, damit ich etwas essen konnte. Es ging mir immer schlechter und eines Tages wurde ich auf der Toilette einer Kneipe ohnmächtig. Als ich dann wieder aufwachte, wusste ich, das ist der Tiefpunkt in meinem Leben. Ich bekam an diese Abend dann den Tipp, bei einem anderen Spanier nach einem Job zu fragen und ich bekam den Job. Das war allerdings etwas merkwürdig, denn es war eine Art Nutten-Bar. Dort spielte ich mit einem Pianist zusammen. Nach einen Monat hatte ich dann das Geld zusammen und kehrte erst Mal nach Spanien zurück.


    DF: Viel später dann aber wurdest du Professor in Deutschland?


    JC: Ja, aber das war viel später. Meine damalige Freundin studierte in Berlin und wir sind nach ihrem Studium nach Bayern umgezogen, u.a. weil ich den Job als Timbales Spieler bei die Conexión Latina, mit Grundsitz in München, bekam. In Bayern gab ich Kurse an die VHS in Deggendorf und irgendwann würde ich dort aufmerksam auf die Möglichkeit eine außerordentliche Prüfung um eine staatliche Anerkennung als Musiklehrer zu bekommen, gemacht. Diese Möglichkeit würde damals vom Ministerium für eine begrenzte Zeit eingerichtet, damit Musiklehrer, die ohne einen Studium an staatlichen Musikschulen unterrichteten, nachträglich diese Annerkennung erwerben könnten. Ich schrieb zum Ministerium, dass es für Latin Perkussion damals auch kein Studium gab und daher auch keine Möglichkeit, für jemand gäbe, an einer staatlichen Musikschule diese Instrumente zu Unterrichten. Also war es ein Teufelskreis. Glücklicherweise würde meinen Brief ernst genommen und ich bekam dann die Möglichkeit, diese Prüfung abzulegen bei der u.a. meine pädagogischen Fähigkeiten zum Unterrichten geprüft wurden. Das war Ende der 1980er.


    DF: Wie kamst du dann nach Mannheim und wie wurdest du Professor?


    JC: 1994 wurde in Mannheim an der Musikhochschule ein Studiengang für Jazz und Popularmusik eingerichtet und zum Glück wurde die Perkussion als eine der Hauptfächer gewählt. Der Perkussionist Freddie Santiago war der erste Dozent dort, er ging aber schon nach sechs Monaten und ich wurde eingeladen. Es war ein Lehrauftrag und keine Professur. 2003 dann wurde eine freie Professorenstelle erstmalig in Deutschland für diese Instrumente als Hauptfach eingerichtet.
    Die Stelle wurde ausgeschrieben und ich selbst musste mich auch nach fast 10 Jahre neu bewerben. Ich war schon angespannt und nervös, aber zum Glück habe ich die Professur bekommen. Mittlerweile ist es so, dass du Perkussion an verschiedenen Hochschulen als Nebenfach studieren kannst, aber, als Hauptfach ist das noch sehr selten im staatlichen Bereich.
    Nur als Perkussionist zu leben, würde ich keinem raten, denn das ist wahnsinnig schwer. Deswegen ist es wichtig, sich auch mit Komposition und Didaktik auszukennen, damit steigen die Chancen, von der Musik leben zu können. Drummer haben es insofern leichter, weil fast in jeder Band einer gebraucht wird. Auf Perkussion wird im Zweifelsfall dann auch gerne mal verzichtet, wir sind die ersten, die gehen dürfen, wenn es mal nicht so gut läuft.


    DF: Mit der richtigen Ausbildung kannst du notfalls in der Schule noch als Musiklehrer arbeiten.


    JC: Genau, das kann sehr wichtig werden, wenn es mit der Profikarriere mal nicht so gut läuft.



    DF: Mal was ganz Anderes, was bedeutet das Instrument für dich, was fühlst du, wenn du spielst?


    JC: Warum mache ich das? Ich habe mich nie als Künstler bezeichnet. Für mich ist es auch Kunst, wenn einer schöne Schlagzeuge baut oder ein Schreiner ein Möbelstück macht. Für mich war immer wichtig, dass du im Leben immer arbeiten musst, denn ohne ist es langweilig. Nur in der Sonne liegen, das könnte ich nicht. Aber, wenn schon Arbeiten, dann soll das auch möglichst Spaß machen. Wenn einer in seinem Beruf aufgeht, dann ist das in Ordnung.
    Ich fühle mich z.B. einem Verwaltungsbeamten nicht überlegen, nur weil ich Musik mache. Mir war auch immer klar, dass ich mein Geld auch mit einem anderen Job verdienen würde, wenn es mit der Musik nicht so läuft. Ich würde nie in der Ecke sitzen und jammern, sondern mir etwas suchen, mit dem ich Geld verdienen kann. Ich brauche die Trommeln nicht um mich zu verwirklichen, es macht einfach Spaß.
    Ich kann mich identifizieren damit, keine Frage. Es ist für mich ein Job, der so viel Spaß macht, dass Zeit keine Rolle mehr spielt und ich nicht auf die Uhr gucke. Aber, ich kann nicht nur über Perkussion reden. Meine Frau ist Flötistin und zuhause vermeiden wir das Thema Musik. Ja, wir schalten nicht mal Musik an. Ich muss abschalten und ich liebe Sport. Das hilft dabei ungemein und mich mit Leuten über ganz andere Themen unterhalten.
    Es macht mich auch nicht verrückt, wenn mal ein Monat lang kein Auftrag oder Gig ansteht. Ich habe genug andere Sachen, mit denen ich mich beschäftigen kann. Sie würden mich notfalls auch finanziell weiter bringen.


    DF: Du bist ja Autodidakt. Wie siehst du die Situation heute?


    JC: Es gibt durch die verschiedenen Medien ein Überangebot an Information. Das fängt damit an, dass du mittlerweile nicht mal mehr auf Klo gehen kannst ohne von Musik berieselt zu werden. Das führt dazu, dass Musik nicht mehr wahrgenommen wird und das ist sehr schade. Ein Rhythmus, den du irgendwo aufgeschnappt hast, der hat dich früher beschäftigt. Du hast versucht, ihn nachzuspielen und raus zu bekommen, wie er funktioniert. Heute hast du z.B. eine DVD, in der zig verschiedene Rhythmen gezeigt werden. Gut, du kannst sie schneller lernen, aber, dann steht schon der nächste als Angebot da. Du nimmst dir einfach nicht mehr genügend Zeit für den einzelnen Rhythmus, kapierst gar nicht, warum es eigentlich geht. Außerdem hast du keine Zeit mehr, um etwas Eigenes zu kreieren. Ich kenne viele, die klonen einfach nur noch, was ihnen vorgesetzt wird. Damit kommst du als Musiker aber nicht weiter. Wobei, ich muss sagen, das ist bei den Schlagzeugern ausgeprägter, denn für Perkussion gibt es noch nicht so viel auf dem Markt.
    Ich denke, den Autoren von Büchern und DVDs geht es darum, Impulse zu geben und nicht eins zu eins kopiert zu werden, um sich dann möglichst schnell dem nächsten Medium zu widmen. Genauso ist es beim Unterrichten: Ich möchte den Leuten Impulse geben, dass sie kreativer werden. Deswegen lernen meine Schüler nicht nur einen Groove nach dem anderen. Zunächst geht es um die Technik, sie ist Grundlage. Du musst erst mal wissen, wie du deine Hände bewegen sollst. Die Rhythmen sollten selbstständig erarbeitet werden, dazu möchte ich jedenfalls meine Schüler bringen. Außerdem muss das Ganze etwas mit Musik zu tun haben. Wenn du weißt, dass der Sound nicht aus der Trommel sondern aus deiner Hand kommt, dann kannst du sogar mit einer Gießkanne Musik machen.


    DF: Der Mensch ansich ist also wichtiger als seine Ausrüstung?


    JC: Genau! Ich habe den Eindruck, zurzeit ist das eher umgekehrt. Du musst also möglichst viele und möglichst teure Trommeln haben. Wie du aber dein Zeug bedienst und ob du überhaupt in der Lage bist, es vernünftig stimmen zu können, scheint mir weniger wichtig zu sein. Dabei ist gerade das Stimmen doch eine Grundlage, die auf jeden Fall beherrscht werden sollte.
    Was ich mir außerdem nicht gefällt, ist, dass es bei den Workshops anscheinend immer mehr nur um Höher – Schneller – Weiter geht. Mensch, Musik ist doch kein Leistungssport! Das gilt jetzt mehr für die Drums aber auch in der Perkussion kann ich aber auch schon solche Tendenzen erkennen. Es scheint nicht mehr wichtig zu sein, ob du in der Lage bist, musikalisch dich in einer Band einzufügen.



    DF: Welche Aufgabe sollte dann die Trommel haben?


    JC: Sie sollte ein Mittel zur Kommunikation sein, das war sie ja auch immer schon. Das bedeutet für mich aber auch, dass der Zuhörer versteht, was ich zu sagen habe und natürlich auch umgekehrt, dass ich zuhöre, was der andere zu sagen hat. Es geht doch darum, die Leute zum Tanzen zu bringen und da helfen irgendwelche Taktverschiebungen oder so Dinger in 13/17tel eher nicht. Die Musik sollte im Vordergrund stehen und nicht die Spieltechnik.
    Ich vergleiche ein gutes Konzert gerne mit einem guten Essen. Du bist satt, aber nicht vollgestopft und hast Lust, das irgendwann mal wieder zu essen. Ein gutes Konzert weckt meine Neugierde. Das konnte ich mal ganz gut auf einem Drumworkshop beobachten: Nach einer halben Stunde Geballer waren mehr Leute draußen als im Saal. Sie waren übersättigt, ja vollgestopft. Ich habe von mehreren gehört, dass sie das ganz toll, ja irre fanden, aber irgendwann mussten sie raus, weil es zu viel war. Da läuft für mich etwas grundsätzlich falsch. Diese Akrobatik am Instrument wird als Musik verkauft, ist es aber nicht. Was ich auch problematisch finde, dass heute fast jeder auf den Drumfestivals zum Playalong spielt. Sicher, das Geld für eine Band ist nicht da, aber, es geht doch auf einen solchen Festival um die Trommeln und nicht, wie toll jemand den Alleinunterhalter geben kann. Das Publikum erwartet aber genau das. Für mich macht das keinen Sinn.


    DF: Einige Trommelkollegen können davon wohl leben…


    JC: Ja, aber, das ist für mich kein Schlagzeuger sondern eine Art Alleinunterhalter, bei dem der Rest der Band aus der Dose kommt. Witziger weise kommt beim klassischen Alleinunterhalter der Schlagzeuger aus der Dose und er spielt Gitarre oder Keyboard. Mir fehlt die Interkation, die Sprache, das Aufeinandereingehen, eben das, was Live-Musik ausmacht.
    Heftig wird es für mich, wenn ich auf ein solches Festival eingeladen werde und spiele neben fünf Drummern. Die Aufmerksamkeit des Publikums ohne Geballer und Band aus der Dose zu bekommen, ist schwierig. In der Presse wird des Fokus zudem fast immer nur auf die Drummer gelegt, obwohl es ja ein Drums- und Perkussion-Festival war. Deswegen habe ich die World Percussion Academy (http://www.world-percussion-academy.de) geplant. Ein Festival nur mit Perkussion an den zum Abschluss Ensemble Konzerte aller Performer geben wird, denn es geht mir um die Musik und nicht um die Technik.



    Weitere Infos: http://www.world-percussion-academy.de

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